OAV - Delegationsreise nach Nordkorea
Die OAV-Unternehmerreise nach Nordkorea im Oktober 2015 war die erste Delegationsreise des OAV in die Volksrepublik seit sieben Jahren. Aufgrund der politisch angespannten Situation wurde seit 2008 von Wirtschaftsdelegationsreisen in das abgeschottete Land abgesehen. Nach mehreren Länderausschusssitzungen und in Abstimmung mit den deutschen Ministerien entschloss sich der OAV, im Jahr 2015 eine weitere Reise nach Nordkorea zu organisieren.
Die einladende Institution auf koreanischer Seite war das Korea External Economic Investment Cooperation Committee, eine Abteilung des nordkoreanischen Außen-
wirtschaftsministeriums, welche das Programm auf Wunsch des OAV umgesetzt und die Delegation vollumfänglich begleitet hat. Zudem konnten zahlreiche individu-
elle Termine auf Wunsch der deutschen Teilnehmer organisiert werden. Sämtliche Organisationsschritte wurden von der deutschen Botschaft in Pjöngjang begleitet. Das siebentägige Programm der Delegationsreise sah eine Vielzahl von Gesprächen und Besichtigungen in der Hauptstadt Pjöngjang, der Hafenstadt Hamhung sowie der Sonderwirtschaftszone (SWZ) Kaesong vor.
Die Delegationsreise endete mit einer Zugfahrt in die chinesische Grenzstadt Dandong, von wo ein Großteil des chinesisch-nordkoreanischen Handels abgewickelt wird. Das Interesse der deutschen Wirtschaft an der Delegationsreise war groß, wenngleich dieses nicht zwangsläufig mit der Erwartung zeitnaher Geschäftsmöglich-
keiten einherging. Vielmehr bestand das Ziel der Reise darin, die wirtschaftliche und politische Lage in Nordkorea zu sondieren, um eine realistische Bewertung der Möglichkeiten für unternehmerische Aktivitäten zu gewinnen. Die 20-köpfige Delegation setzte sich aus Unternehmensvertretern aus zahlreichen Sektoren zusammen, wie z.B. Landwirtschaft, Textilwirtschaft, Maschinen- und Anlagenbau, Wissenschaft sowie weiteren Bereichen. Die Delegation wurde geleitet von Timo Prekop, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des OAV.
"Die bedeutendste Delegation aus Europa seit Jahren"
Nach Ankunft der Delegation in Pjöngjang erhielten die Teilnehmer ein erstes Briefing zur Lage in Nordkorea vom deutschen Botschafter in Pjöngjang, Dr. Thomas Schäfer. Die OAV-Delegation fiel zeitlich zusammen mit einer Reise der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages unter der Leitung von Hartmut Koschyk, welche ebenfalls am Empfang teilnahm. Das Treffen mit der Parlamentariergruppe bot den Teilnehmern eine erste Gelegenheit, von den Eindrücken der Bundestags-Delegation zu erfahren.
Der offizielle Empfang der Delegation von nordkoreanischer Seite erfolgte am folgenden Tag durch den Vizeminister für Außenwirtschaft sowie durch den stellvertre-
tenden Leiter der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Partei der Arbeit Koreas (PdAK). Die Treffen dienten vorrangig der Vorstellung der betreffenden Institutionen sowie der aktuellen Schwerpunkte der nordkoreanischen Wirtschaftspolitik. Der Empfang der Delegation fand nur zwei Wochen nach den Feierlichkeiten anlässlich des 70. Jahrestages der Parteigründung am 10. Oktober 2015 statt, welcher mit einer großen Militärparade gefeiert wurde. In den Gesprächen wurde u.a. auf das Interesse am Ausbau der außenwirtschaftlichen Aktivitäten – v.a. mit Europa – hingewiesen.
In diesem Kontext käme Deutschland aufgrund der historischen Verbindungen eine besondere Rolle zu. Tatsächlich können die Bemühungen einer zunehmenden In-
ternationalisierung zumindest im Zeitraum der OAV-Delegation bestätigt werden, denn nur wenige Tage später bereisten auch Wirtschaftsvertreter aus Frankreich und Italien Nordkorea, bei denen u.a. auch Verträge über Bauvorhaben abgeschlossen werden sollten. Die OAV-Delegation wurde von mehreren Seiten als größte und wichtigste Delegation aus Europa seit vielen Jahren hervorgehoben.
Die offiziellen Gespräche und Projektbesuche in Pjöngjang wurden durch Besichtigungen von Objekten des Staatskultes ergänzt. Hervorzuheben sind v.a. die Besuche des Museums über den Sieg im Vaterländischen Befreiungskrieg sowie des Kumsusan-Palastes der Sonne, wo der Ewige Präsident Kim Il-Sung sowie Kim Jong-Il verehrt werden. Der Staatskult und die hierfür aufgebrachten Ressourcen sind beachtlich und hinterließen bei den Besuchern einen bleibenden Eindruck.
Zusätzlich besuchte die Delegation zahlreiche Prestige-Projekte in der Hauptstadt und der umliegenden Region. Hierzu zählt auch das Skigebiet Masikryong, welches im Jahr 2013 eröffnet wurde. Das moderne und luxuriös ausgestattete Resort soll v.a. internationale Touristen anziehen, wird allerdings von zahlreichen Experten als „weißer Elefant“ beschrieben, zu welchem nur wenige Angehörige der nordkoreanischen Elite Zugang haben.
Eine Sonderwirtschaftszone für Investoren aus Deutschland
Ein zentraler Bestandteil der Reise war der Besuch der Stadt Hamhung bzw. der geplanten SWZ im nahegelegenen Hungnam sowie zahlreiche Unternehmens- und Projektbesuche in der Provinz Süd-Hamgyong. Hamhung ist die zweitgrößte Stadt Nordkoreas. Die Stadt liegt knapp 400 km entfernt von der Hauptstadt an der Ost-
küste Nordkoreas und gilt als ein industrielles Zentrum des Landes.
In Hamhung befindet sich eine Großzahl bedeutender Betriebe, insbesondere aus den Bereichen Chemie und Pharma, aber auch der Textil- und Landwirtschaft. Nach der circa achtstündigen Fahrt traf die Delegation am Abend mit dem Vorsitzenden des Volkskomitees der Provinz Süd-Hamgyong zusammen. Hamhung hat historische Verbindungen zur DDR, welche nach dem Koreakrieg maßgeblich am Wiederaufbau der Stadt beteiligt war. Die koreanische Regierung, welche seit etwa 2013 den Auf- und Ausbau zahlreicher neuer SWZ plant, hat Hamhung bzw. die in der Nähe gelegene Hafenstadt Hungnam aus diesem Grund als potentielle SWZ für deutsche Investoren auserkoren.
Neben Rason, welches vornehmlich für chinesische und russische Investitionen offen steht, und das maßgeblich durch Südkorea betriebenene Kaesong, soll die SWZ in Hungnam von deutschen Unternehmen aufgebaut, genutzt und gemanagt werden. Die SWZ existiert bisher lediglich auf dem Reißbrett und stellt bis dato ein unge-
nutztes 2,2 km2 großes Areal in der Nähe des Songchon-Flusses dar. Von koreanischer Seite würden vor allem die Gewerbefläche sowie Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt – Energieversorgung, Transport, Entsorgung etc. seien offenbar von den deutschen Investoren bereitzustellen. Zudem ist die SWZ vornehmlich für die Produktion von Exportgütern vorgesehen.
Ein zeitnahes Engagement deutscher Investoren in der SWZ scheint zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Neben einem kurzen Besuch der SWZ besuchte die Gruppe zahlreiche verschiedene Projekte und Staatsfirmen. Auf dem Plan standen Besichtigungen von Textilbetrieben, Kraftwerken, Krankenhäusern, aber auch Lebensmittelkombinaten, einer Entenfarm sowie verschiede nen Bildungseinrichtungen. Die Beurteilungen der Termine und Unternehmen fielen insgesamt sehr unterschiedlich aus: Einzelne Betriebe wurden als durchaus vorzeigbar beschrieben, während die meisten Besichtigungen deutliche Defizite in der Ausstattung, Infrastruktur oder auch im Management offenbarten. Weiterhin wurde vielerorts deutlich, dass ein Großteil der Firmen aufgrund einer Unterversorgung an Vorpro-
dukten, Rohstoffen oder Energie nur zu einem Bruchteil ausgelastet sind.
In der weithin bekannten SWZ Kaesong im Süden des Landes sind fast ausschließlich südkoreanische Unternehmen vertreten. Im März 2015 produzierten 124 Unter-
nehmen mit 54.060 nordkoreanischen Arbeitskräften in der SWZ. Das Produktionsvolumen belief sich im Jahr 2014 auf knapp 500 Millionen US-Dollar. Der erste und bis dato einzige ausländische Investor ist der deutsche Nadelhersteller Groz-Beckert, welcher seit 2014 ein Verkaufsbüro in der Industriezone unterhält. Die Energie-
versorgung erfolgt durch den südkoreanischen Energieversorger KEPCO aus dem Süden des Landes.
Die Delegation erwartete ein moderner Firmenkomplex nach südkoreanischen Standards. Vorgesehen waren Besichtigungen einer großen Textilfabrik sowie eine Produktion für Verkabelungssysteme. Beide Unternehmen verfügten über verhältnismäßig hohe Arbeitsstandards und auch das Management machte einen fach-
kundigen Eindruck. Die SWZ wurde der Delegation jedoch nur oberflächlich vorgestellt. Es blieb der Eindruck, dass Nordkorea nicht plant, internationale bzw. deutsche Investoren für die SWZ begeistern, sondern diese auf die Zusammenarbeit mit Südkorea beschränken zu wollen. Das konfliktbelastete Verhältnis der Nachbarstaaten ist aktuell auch das Hauptargument gegen ein ausländisches Engagement in Kaesong.
Obwohl sich die Beziehung beider Koreas regelmäßig entspannt, treten ebenso regelmäßig Spannungen auf, welche auch Kaesong nicht unberührt lassen. Zuletzt wurde die Zone im Jahr 2013 für knapp sechs Monate geschlossen.
Ansätze für Kooperationen
Aufgrund der nur schwach ausgeprägten deutsch-nordkoreanischen Wirtschaftsbeziehungen, der Sanktionslage, der politisch schwierigen Situation und der ungüns-
tigen Rahmenbedingungen waren die Erwartungen bezüglich geschäftlicher Möglichkeiten unter den Delegationsteilnehmern anfangs gering. Dennoch bestand für einen Großteil der Teilnehmer ein grundsätzliches Geschäftsinteresse an Nordkorea, welches sowohl als Absatzmarkt als auch als Produktionsstandort perspekti-
visch interessant sein könnte.
Die von der Delegation als potentiell interessant empfundenen Bereiche umfassen vor allem die Landwirtschaft, den Textilsektor sowie das produzierende Gewerbe. Um die wirtschaftliche Zusammenarbeit von Deutschland und Nordkorea fortzusetzen und auszubauen, unterzeichneten der OAV und das Korea External Economic Investment Cooperation Committee am vorletzten Tag der Reise ein Memorandum of Understanding.
Die zentralen Punkte des Memorandums beinhalten den Austausch von Informationen und Publikationen zum Zwecke des Ausbaus der wirtschaftlichen Beziehungen, den Aufbau und die Pflege von Kontakten sowie die gegenseitige Unterstützung bei Delegationen, Besuchen etc. Zudem ist es die Absicht beider Parteien, einen bilateralen Wirtschaftsausschuss (Joint Economic Committee) einzuberufen, um den gegenseitigen Austausch auf wirtschaftlicher Ebene zu stärken. Sowohl von Seiten der Teilnehmer als auch vom OAV besteht Interesse an einer Fortführung des Austauschs – z.B. durch den Empfang einer nordkoreanischen Delegation in Deutschland sowie durch den bilateralen Wirtschaftsausschuss.