Mongolei - Der steinige Weg einer alten Tradition hinein in eine unbekannte und neue Zukunft
Die persönliche Geschichte eines deutschen Unternehmers in Zeiten der wirtschaftlichen Umschwünge der Mongolei.
Mein Name ist Laurenz Melchers. 1998, im Alter von 28 Jahren, packten meine damalige Freundin Anke Trübel und ich unsere Sachen und zogen voller Tatendrang in eine unbekannte neue Heimat. Dieses Abenteuer begann bereits in Bremen auf einem mir nicht bekannten Gleis mit der Nummer 54 – quasi ein Abstellgleis. Wir flogen mit einem uralten Flugzeug der Linie MIAT von Berlin Schönefeld über Moskau und Nowosibirsk nach Ulan Bator. In Ulan Bator herrschten minus 42 Grad Kälte.
Wir zogen in eine Mietwohnung ganz in der Nähe der Deutschen Botschaft, denn diese gab uns ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Die Heizungsrohre froren ein, die Wohnung wurde eiskalt, meine Freundin erkrankte mit 40 Grad Fieber. Wir zerhackten ein paar Holzstühle, um sie auf der offenen Feuerstelle in der Küche für Wärme zu verbrennen. Wir suchten und fanden innerhalb eines Tages eine neue Wohnung und zogen nach drei Tagen um. Die Sicherheit der Botschaft war nun leider weg, aber es war wenigstens warm.
Die neue Wohnung befand sich im dritten Stock und im Hausflur lagen Knochen und Überreste von geschlachteten Schafen, das Fleisch, von dem sich Mongolen damals noch morgens, mittags und abends ernährten. Dies war der Anfang eines 15-jährigen Aufenthaltes von meiner Frau Anke und mir. Wir bekamen zwei Kinder, lebten bis 2013 glücklich in der Mongolei und bauten dort ein Unternehmen auf, welches auch heute noch besteht und an dem wir weiterhin beteiligt sind.
Seit Juli 2015 wohnen wir in Hamburg. Ich reise weiterhin regelmäßig nach Ulan Bator, um die Geschäfte dort zu begleiten. Die Firma MSM Group, bis 2014 bekannt als Mongolian Star Melchers, wurde 1998 gegründet und zählt heute 250 Mitarbeiter zu seinem Stammpersonal. MSM bietet Import-, Vertriebs- und Servicedienst-
leistungen an. Es importiert Fahrzeuge, Landwirtschaftsmaschinen, Stromerzeuger, Werkzeuge, Chemikalien und ist im Vertrieb von Konsumgütern tätig. Bis 2012 war die Entwicklung der Mongolei rasant und somit auch das Wachstum in der sehr kleinen Wirtschaft.
Die MSM, als eines der wenigen Unternehmen mit einem Portfolio von Qualität und Zuverlässigkeit, erfuhr einen regelrechten Nachfrageboom für seine Produkte. Die Firma verdiente Geld, reinvestierte es,erweiterte ihr Angebot. Dabei sahen wir fassungslos zu, wie sich die Mongolei in kürzester Zeit unglaublich veränderte.
Vom Kommunismus zur Demokratie
Die Mongolei war bis in die frühen 90er Jahre kommunistisch und ist heute, nur knapp 25 Jahre später, vollkommen kapitalistisch und eine der in der Region am weit-
esten fortgeschrittenen Demokratien. Das Land verfügt über eine Fläche, die fünf Mal so groß ist wie die Deutschlands, wird aber nur von drei Millionen Menschen bewohnt. Damit ist die Mongolei der am dünnsten besiedelte Staat der Erde. Unter den Steppen liegen bekanntlich endlos große Vorkommen an Rohstoffen wie Gold, Kupfer, Kohle, Eisenerz, Uran und andere. Es ist nicht verwunderlich, dass der rasante und fast unkontrollierte Boom der ersten Dekade im 21. Jahrhundert ein Ende finden musste.
1998 konnte man in Ulan Bator, ohne nach links und rechts zu schauen, die Straße überqueren, da es so gut wie keine Autos gab. Heute brauche ich mit dem Auto fast eine Stunde, um in der Stadt knapp fünf Kilometer zurückzulegen. Schritttempo im Stau, der morgens um 8:00 Uhr anfängt und erst nachts um 23:00 Uhr zum Erliegen kommt. Hierzu gehört ein ununterbrochenes Hupen. Einen Wecker braucht niemand in Ulan Bator. Ende 2012 kam das Ende des Booms.
Aus meiner Sicht war der Hauptgrund dafür die menschliche Gier. Die Mongolei fühlte sich reich und erhaben. Infolgedessen verabschiedete die Regierung Gesetze, die das Land gegen die wirtschaftliche Übernahme ausländischer Regierungen und Konzerne im Rohstoffsektor schützen sollten. Es wurden undiplomatische Gesprä-
che mit Großmächten wie China geführt und Vereinbarungen mit Großkonzernen wie Rio Tinto gekippt. Innerhalb von nur zwei Jahren sank das Investitionsvolumen in der Mongolei auf ein Minimum, während der Staat sich weiterhin „reich“ fühlte und dementsprechend weiter Gelder in wählerbringende Projekte investierte.
Die Regierung häufte einen erheblichen und gefährlichen Schuldenberg an. Bis heute im November 2015, drei Jahre nach dem Hoch in 2012, hat die mongolische Währung 40 Prozent an Wert verloren. Das Land ist hoch verschuldet, die Arbeitslosenquote ist um ein vielfaches angestiegen, Bauruinen schmücken die in Kälte und Smog gehüllte Stadt. Das Fundament, auf dem der Boom aufgebaut war, stand auf Treibsand. Es hatte keine Chance zu bestehen. Es bot keinen Halt, auf dem endlos in die Höhe gebaut werden konnte.
Der Weg von einer nomadischen Kultur und Tradition, durch den tiefen Kommunismus, bis hin zum glitzernden Kapitalismus in einem demokratischen Umfeld, ist ein Weg der Gegensätze und somit extrem schwer. Zu glauben, es sei in 25 Jahren zu schaffen, ist ein Irrtum. Die Mongolen haben sich für eine Demokratie entschieden und haben gespürt, was für einen Genuss Geld und Wohlstand bringen können – und welchen Fluch, wenn sie nicht auf soliden Fundamenten aufgebaut sind.
Kleiner Markt, großes Potenzial
Einige Mongolen haben viel Geld verdient und auch wieder verloren. Manche haben es zu so großen Vermögen gebracht, dass sie auch jetzt noch sehr wohlhabend sind. Viel zu viele Mongolen sind aber arm geblieben, was natürlich für erhebliche soziale Spannungen sorgt und weiterhin ein Zeichen dafür ist, dass das Fundament immernoch nicht solide genug ist, um neue Höhen erreichen zu können.
Seit den ersten Wahlen in der Mongolei 1990 ging es dort stetig bergauf. Erst in den letzten drei Jahren wurden Rückschritte gemacht. Die Menschen fühlen es und sie reden darüber. Die Regierung spürt es und muss befürchten, im Juni 2016 abgewählt zu werden. In meiner gesamten Zeit in diesem Land habe ich eine Diskussion über die Missstände in der Mongolei, so offen wie sie heute geführt wird, noch nicht gehört. Für mich sind dies ganz bedeutende Zeichen und Zeiten für die Mongolei.
Die Entwicklungen der letzten drei Jahre haben den Menschen und den Politikern zu spüren gegeben, dass das Bisherige keine Zukunft hat und dass eine wirtschaftli-
che Entwicklung nicht im Alleingang zu schaffen ist. Der Streit mit Rio Tinto wurde vor einigen Monaten beigelegt und der Ausbau der Untertagemine mit einem Investi-
tionsbudget von knapp sechs Milliarden US-Dollarkann fortfahren. Gespräche zwischen der Mongolei und China waren noch nie so intensiv wie zurzeit.
Die Mongolei muss einen Weg finden, wie sie mit der Volksrepublik kooperiert, ohne dabei die eigene Unabhängigkeit zu verlieren.
China ist nicht nur der größte Abnehmer aller Rohstoffe, sondern auch der Weg zu Häfen, die es erlauben, Rohstoffe auch an Drittländer außerhalb Russlands und des Reichs der Mitte zu verkaufen. Das Leben eines Nomaden in derSteppe ist für uns aus dem Westen unvorstellbar schwierig, kalt und einsam. Dem Nomaden geht es genauso, wenn er in unsere Städte kommt. Für ihn ist es kalt, schwierig und er fühlt sich gleichermaßen einsam. Die Mongolen werden Zeit brauchen, um ihre Traditio-
nen anzupassenund um sich auf eine ungewisse Zukunft unter ihnen wenig vertrauten Bedingungen einzustellen.
Ich bin zuversichtlich, dass die vergangenen drei Jahre viel Umdenken bewirken konnten, welches es den Mongolen erlaubt, mit Nachdruck und einer schlaueren Stra-
tegie ihr Ziel einererfolgreichen Zukunft zu verfolgen. Für diejenigen, die aus dem Ausland in die Mongolei investieren möchten, ist heute erstmals seit 25 Jahren wieder ein interessanter Zeitpunkt, sich dieses Land näher anzusehen.
Ab 2020 werden aus der Mine Oyu Tolgoi Kupfer und Goldgefördert werden, welche den Staatshaushalt erheblich stabilisieren werden. Andere Projekte werden bis dahin ebenfalls auf dem Weg sein. Es bleibt ein sehr kleiner Markt, aber dennoch einer, der wieder interessante Chancen für diejenigen bietet, die abseits der Märkte investieren wollen, auf denen sich „alle Anderen“ bereits tummeln.