Südpazifik: Aus den Augen, aus dem Sinn

Der Südpazifik ist für die Deutschen nicht nur geografisch weit weg. Ob Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft: Hinter Australien und Neuseeland und – aus der anderen Richtung – hinter Honolulu und Valparaiso ist die Welt zu Ende.


Der wirtschaftliche Austausch Deutschlands mit der Region ist weitgehend unbedeutend. Die Gründe sind nachvollziehbar: sehr kleine Volkswirtschaften, sehr abgelegen von den globalen Märkten, mit wenigen Ausnahmen kaum Rohstoffe (Metalle), geringe Produktpaletten, wenig verbreitete Export- und Händlertradition, teilweise Restriktionen beim Landerwerb (zum Beispiel in Samoa und auf den Salomonen) und wenig entwickelte Häfen. Die Container-Linien der Hamburg-Süd enden heute in Auckland. Hinzu kommen teilweise Probleme mit langsamer Bürokratie und unterentwickelter Rechtsstaatlichkeit. Andererseits bemühen sich einige Länder ernsthaft darum, Investitionen zu erleichtern.

Hinzu kommt die Ausrichtung auf andere globale Magnetfelder, wie Australien, Neuseeland, Japan und zunehmend China. Der Wechsel der Datumsgrenze von Samoa und Tokelau und der Übergang zum Linksverkehr auf Samoa (Autoimporte aus Nordost-Asien statt aus USA) waren sichtbare Zeichen der Umorientierung.

Die Landwirtschaft produziert zu einem erheblichen Teil nur für den Eigenbedarf. Produkte wie Kokos und Kakao sind aus Afrika und Lateinamerika in größeren Mengen und auf deutlich kürzeren Transportwegen lieferbar.

Das durchaus gegenseitige Desinteresse von Deutschland und dem Südpazifik zeigt sich auch an fehlenden diplomatischen Vertretungen. Das Auswärtige Amt nimmt die Beziehungen zu Papua-Neuguinea, Fidschi und allen anderen Inselstaaten von Canberra, Wellington und Manila aus wahr. Allerdings bereisen die deutschen Botschafter regelmäßig ihre gesamten Einsatzgebiete. In der ganzen Region gibt es zudem zehn Honorarkonsulate. Eine sichtbare deutsche Präsenz vor Ort leistet vor allem die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Im Übrigen läuft die staatliche deutsche Zusammenarbeit über die EU. Umgekehrt ist kein einziger südpazifischer Staat außer Australien und Neuseeland in Deutschland diplomatisch vertreten. Die für Deutschland akkreditierten Vertreter sitzen in Brüssel (Papua-Neuguinea, Salomonen, Samoa, Fidschi), London (Tonga), New York (Marshall-Inseln) oder Washington (Palau).

 

Vor über 100 Jahren war die Südsee für die Deutschen alles andere als ein weißer Fleck. Handelshäuser, allen voran der „Südseekönig“ Johan Cesar Godeffroy jr., hatten eine Schlüsselrolle in der ganzen Region. Das Bismarck- Reich streckte seine Hand aus. Es folgten Plantagen-Besitzer, Händler, Missionare, Wissenschaftler, Beamte, Soldaten. Samoa, der Norden der Salomonen, Teile Mikronesiens mit Palau, der Nordosten Neuguineas und Nauru wurden deutsche Kolonien.

Die Südsee, ihre Menschen und Lebensweisen, faszinierten halb Europa. Sie war die Verortung von Träumen und Idealen. Spätestens seit die Naturwissenschaftler Johann Reinhold und Georg Forster den Briten James Cook auf seine zweite Südsee-Reise begleiteten, stieg auch in Deutschland das Interesse an dieser Weltregion. Bedeutende Künstler wie Paul Gauguin, Robert Louis Stevenson, Emil Nolde, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff regten die Phantasie der Menschen an.

 

 

 

 

Andere nehmen Chancen wahr

Nicht alle Unternehmen sind so wenig interessiert wie die deutschen. Neuseeland und Australien, Japan (mit starker Unterstützung seiner Unternehmen durch Regierungsgelder), China und Taiwan, Frankreich und die USA, zunehmend auch wieder Großbritannien sowie Russland zeigen durch ihre starke Präsenz: Es gibt im Südpazifik ein beachtliches Potenzial. Natürlich zeigt der australische Fokus auf Melanesien und der neuseeländische Fokus auf Polynesien die Bedeutung der geografischen Nähe. Aber China baut seine Präsenz dort wahrlich nicht nur als Nachbar aus. Auch geostrategische Ambitionen und bedeutende Verkehrswege spielen eine Rolle. Das chinesische Auftreten vor Ort wird zunehmend als massiv und kaum partnerschaftlich empfunden, zumal immer mehr Chinesen auch lokale Kleinunternehmen aufkaufen und die Qualität chinesischer Produkte und Bauten deutlich zu wünschen übrig lässt.

Papua-Neuguinea, Neukaledonien und die Salomonen verfügen über relevante Metall- und Mineralien-Vorkommen von Gold und Nickel über Phosphat bis Kobalt und Mangan.

Auch in anderen Branchen gibt es gute Chancen, auch für deutsche Unternehmen. Internationale Organisationen und bilaterale Geber statten umfangreiche, häufig länderübergreifende Projekte finanziell sehr gut aus. Allein die EU-Delegation vergibt jährlich etwa 100 Mio. EUR für die Südpazifik-Region mit ihren 10 Mio. Einwohnern. An Geld mangelt es insoweit nicht. In den meisten Ländern und Sektoren gibt es niedrige Löhne, weniger starke Arbeitnehmerrechte und vergleichsweise gut ausgebildete, in der Regel englischsprachige Arbeitnehmer.

Experten vor Ort nennen insbesondere folgende Sektoren mit erheblichen Potenzialen: Erneuerbare Energieerzeugung von Solar über Biomasse, kleine und große Wasserkraft (zum Beispiel auf Fidschi) bis Geothermie; zunehmend auch Stromspeicher, Bau und Management intelligenter, lokaler oder inselbezogener Netze (für Leitungen zwischen den Inselstaaten sind die Entfernungen zu groß) sowie Netzstabilisierung; Bau- und Ingenieurleistungen für die Infrastruktur einschließlich Küstenschutz; Planung/Projektentwicklung sowie pflanzliche Heilmittel (unter anderem Kava-Produkte) und Fischerei samt Überwachung.

Ein besonderer Schwerpunkt ist die Wasserversorgung, für die sich zum Beispiel die EU, die GIZ und Japan engagieren. In Projektierung, Bau, Maschinen- (Pumpen-) und Anlagen- Lieferung (auch für Meerwasserentsalzung), Betrieb und Training gibt es nahezu in allen Ländern immer weiter zunehmend zu tun.

Mit der Fertigstellung von zwei Unterseekabel werden Samoa und weitere Staaten an die Kabel nach Australien/ Neuseeland und die USA angeschlossen sein. Damit gibt es neue Chancen für die digitale Wirtschaft.

 

 

 

 

Vorbildliche regionale Zusammenarbeit

Der Nachteil der übergroßen Fläche des Südpazifiks für wirtschaftliche Aktivitäten wird durch eine effiziente und professionelle regionale Zusammenarbeit teilweise ausgeglichen. Die südpazifischen Staaten wissen um ihre Größe und Lage und suchen überall die regionale Zusammenarbeit. Bei aller staatsrechtlichen Vielfalt sind doch alle Länder Demokratien mit einem unterschiedlichen Ausmaß an traditionellen Elementen. Es gibt zahlreiche regionale Organisationen, die ihre Aufgaben und Aktivitäten zumeist sehr klar voneinander abgrenzen. Das Pacific Islands Forum Secretariat (PIFS mit Sitz in Suva/ Fidschi) ist als wichtigste Regionalorganisation zuständig für die politische und zwischenstaatliche Koordinierung und Entscheidungsfindung zu allen regionalen Themen, nicht aber für eigene technische oder finanzielle Aktivitäten. Das Secretariat of the Pacific Regional Environment Programme (SPREP mit Sitz in Apia/ Samoa) beschäftigt sich mit Climate Change Resilience, Abfall, Schutz des Ozeans, Biodiversität und Monitoring Umweltverträglichkeitsstudien). Die Pacific Community/Communauté du Pacifique (Sitz: Noumea/ Neukaledonien) ist die wichtigste wissenschaftlich-technische Organisation, die sich um Entwicklung und Innovation in den Bereichen Fischerei, Gesundheit, Geowissenschaften und Landwirtschaft kümmert.

Im Übrigen akzeptieren die Länder der Region durchaus eine gewisse größere Rolle für Fidschi aufgrund seiner Drehkreuz-und Mittellage und für Papua-Neuguinea aufgrund seines größeren Gewichts. So konnte Fidschi 2017 mit Premierminister Frank Bainimarama den Vorsitz der 23. UN-Klimakonferenz in Bonn übernehmen und verwaltet teilweise Projektmittel Dritter für andere Inselstaaten.

Umfangreiche Programme zu den Folgen des Klimawandels

Besondere Aufmerksamkeit verdienen der Klimawandel und seine Folgen für Politik und Märkte. Die Region ist vom Klimawandel besonders betroffen, vor allem zwei der drei wichtigsten Wirtschaftszweige: Landwirtschaft und Tourismus. Allerdings ist die Zahl der unmittelbar Betroffenen derzeit noch nicht sehr hoch. Die bisherige Auswanderung erfolgte weitgehend aus wirtschaftlichen Gründen, noch nicht wegen der Folgen des Klimawandels. Mittelfristig sind die Studien zum Klimawandel aber pessimistisch. Binnen 30 Jahren ist der großräumige Verlust von Lebensräumen zu erwarten. Dieses gilt insbesondere für die nördlichen Atolle (Marshall-Inseln, Mikronesien, Kiribati, Palau) weniger für die polynesischen Inseln vulkanischen Ursprungs, die höher gelegen sind. Extremwetter, Erdrutsche und Ernteausfälle nehmen überall in der Region zu.

In der Region gilt der Klimawandel als die größte Herausforderung überhaupt. Fidschi, Samoa und alle anderen Länder beobachten im Rahmen ihrer Möglichkeiten unmittelbar oder im Verbund mit anderen Südpazifik- Staaten aufmerksam die globalen Entscheidungsprozesse und bemühen sich, aktiv daran teilzunehmen. Daher sind der Klimaschutz, eine stärker belastbare („resilient“) Infrastruktur und Produktion (etwa Fischerei) und der Schutz der Bewohner das wichtigste Oberthema aller größeren globalen und regionalen internationalen Organisationen. Zunehmend gibt es auch nationale Green Climate Funds, teilweise zur Förderung ausländischer Privatunternehmen. Ministerien, Behörden und Organisationen verfügen zum Klimawandel inzwischen über viel, auch spezialisiertes Wissen. Dieses gilt allerdings nicht für die allgemeine Bevölkerung.

Die öffentlichen Programme bieten große Potenziale für private Unternehmen. Hingegen gibt es kaum private Finanzierungen für private Projekte. Der Bankensektor ist unzureichend und die Transaktionskosten sind hoch. Eine schwerwiegende Folge des Klimawandels sind die zunehmend versalzenden Grundwasser-Vorräte zum Beispiel auf Palau, Nauru, den Marshall- Inseln und in Melanesien. Im Zuge des Klimawandels steigt die Zahl der Zyklone. Die daraus folgenden, immer häufigeren Überflutungen der flachen Atolle verknappen das Trinkwasser. Die Süßwasser-Aquifer haben immer weniger Zeit, sich zu regenerieren. Auf Palau leiden darunter besonders die Taro-Plantagen. Für die Inseln vulkanischen Ursprungs ist dieses Problem geringer. Fidschi hat zum Beispiel noch genug Wasser.

Wirtschaftliche Potenziale ergeben sich auch aus einer zunehmenden und menschlich tragischen Folge, nämlich Umsiedlungen. Fidschi und Papua-Neuguinea haben bereits Erfahrungen mit inneren Umsiedlungen. Die Salomonen beginnen mit EU-Hilfe innere Umsiedlungen von besonders niedrig liegenden Atollen. Kiribati erwarb vorsorglich 10.000 Morgen (acre) Land auf Fidschi.

Im Ergebnis ist festzustellen: Natürlich gibt es für deutsche Unternehmen näher gelegene und größere Märkte als den Südpazifik. Aber insbesondere in einer ganzen Reihe von Branchen lohnt sich ein genauerer Blick in die Region. So dramatisch sich der Klimawandel im Südpazifik auswirkt: Er bietet Chancen für deutsche Unternehmen und ihre Kompetenzen, die dort dringend benötigt werden. Die umfassenden Förderprogramme internationaler Organisationen und bilateraler Geber bieten attraktive Finanzierungen und überdies Zugang zu professioneller Landes-, Orts- und Sachkenntnis.

 

<small>Bildnachweis:  B. Machaczek</small>


Reinhard Stuth

Geschäftsführer, Han-Bao Neue Energien GmbH in Hamburg (Fokus: Begleitung auf Auslandsmärkte). Der Beitrag beruht auf einer Markterkundungsreise in die Region im Juni 2018.