Bücherschau: Südostasien umfassend und verständlich
Die Region Südostasien ist sicherlich die komplexeste weltweit. Ihre schillernde Vielfalt bewirkt, dass es Beobachtern oft schwerfällt, gemeinsame Merkmale auszumachen oder tiefergehende Unterschiede zu benennen. Gerade für Unternehmen ist die Region nicht leicht zu fassen. Der Wirtschaftsgeograf Karl Vorlaufer legt seine erhellende und akribisch recherchierte Länderkunde in dritter Auflage vor. Von Daniel Müller, OAV
Was die vordergründigen Differenzen zwischen den elf Staaten in den Dimensionen Politik, Religion und Sprache anbelangt, existiert bei an der Region Interessierten meist ein Grundwissen. Eingang in die allgemeine Betrachtung hat auch die grobe Unterteilung zwischen dem Festlandteil und der indonesisch-malaiisch-philippinischen Inselwelt gefunden. Ebenso sind die enormen ökonomischen Entwicklungsgefälle wie zwischen dem hypermodernen Singapur und dem agrarischen Myanmar weitgehend bekannt. Weniger klar hingegen ist, worin denn das einigende Band zwischen den einzelnen Nationen besteht, sodass die Rede von einer eigenständigen Weltregion gerechtfertigt ist. An dieser Frage nimmt Vorlaufer seinen Ausgang und findet die Antwort in der Gründung der ASEAN-Organisation 1967 durch die marktwirtschaftlichen Staaten als Reaktion auf eine perzipierte Expansion des Kommunismus. In einem Prozess der (allmählichen) Identitätsbildung und der zunehmenden Außenwahrnehmung als Einheit habe sich Südostasien als „politisch- geographische Abgrenzung“ herausgebildet. Ist man großzügiger bei der Außenabgrenzung, sind auch Umrisse einer Kulturregion erkennbar, die sich aus der Vermengung von chinesischen, indischen und spezifisch lokalen Elementen ergeben hat. Hinzu kommen islamische, christliche und westlich-moderne Einflüsse. Obgleich natürlich bei genauem Hinsehen die Übergänge in die Nachbarregionen durchweg fließend sind, was den Charakter Südostasiens als zentralen Transit- und Handelsraum unterstreicht.
Diese Komplexität im Blick dekliniert Vorlaufer die Region anhand der Kapitel Natur, Bevölkerung, Städte (Urbanisierung) und aller wichtigen Wirtschaftssparten durch. Dabei wird deutlich, dass die traditionellen Strukturen in den letzten Jahrzehnten vielfach eine fundamentale Umwälzung erfahren haben. Dies kommt etwa in – trotz verringertem Bevölkerungszuwachs – anhaltenden Wanderungsbewegungen und damit in extrem fragmentierten Megastädten mit den entsprechenden Problemen zum Ausdruck. Im Ganzen gesehen, ist die Landwirtschaft weiter der größte Arbeitgeber und ein relevanter Devisenbringer. Auch Bergbau und Energiewirtschaft – Kohle, Erdöl, Erdgas, Wasserkraft – spielen in einzelnen Ländern eine Schlüsselrolle. Die größte Dynamik weist indes der von Auslandsinvestitionen und einer wirksamen staatlichen Industriepolitik angetriebene Fertigungssektor auf. Der verfolgte Entwicklungspfad ist dabei generell derselbe: vom Importersatz über die Exportorientierung hin zum Fokus auf Forschung und Entwicklung. Letzterer führt zum Aufbau von Dienstleistungsgesellschaften, für die etwa Singapur idealtypisch steht und dem Malaysia und Thailand versuchen, nachzueifern. Diese Trends umfassen jedoch je nur einen Teil der Bevölkerung – mit der Folge, dass die ohnehin großen Ungleichheiten sich partiell noch weiter verschärfen. Hochinformativ sind daneben die ergänzenden Exkurse über Einzelthemen wie die Rolle ethnischer Chinesen in Vietnam, die Stadtentwicklung Phnom Penhs oder die Anti-Opium-Politik in Thailand. Insgesamt wird man kaum ein Werk zu Südostasien und seinen Staaten finden, das eine vergleichbare Breite, Detailtiefe und inhaltliche Neugierde aufweist.