„Die Abschottung von Märkten ist falsch“
Beim G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg ging es um die großen Fragen der Weltwirtschaft. Die Staatsund Regierungschefs der teilnehmenden Länder haben unter anderem über Tendenzen zu einem neuen Protektionismus diskutiert, aber auch über Entwicklungsmöglichkeiten für Afrika oder einen besseren Klimaschutz. Über die Perspektiven des Freihandels und der Globalisierung sprach die WELT mit Hans Georg Frey (60), Vorstandsvorsitzender des Hamburger Intralogistikkonzerns Jungheinrich und OAV-Vorsitzender. […]
Herr Frey, freuen Sie sich auf den G-20-Gipfel in Hamburg?
Ja. Es ist großartig, dass der G-20-Gipfel in Hamburg stattfindet. Neben der Elbphilharmonie hebt das Hamburg auf die internationale Landkarte, und zwar nicht nur auf die maritime. Und was Deutschlands Rolle als Gastgeber betrifft: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat von allen teilnehmenden Staats- und Regierungschefs die längste Erfahrung und beste Verbindungen auf der ganzen Welt. Der damit verbundene Führungsanspruch bietet eine Riesenchance, unter der deutschen G-20-Präsidentschaft gemeinsam mit unseren europäischen Partnern wirklich etwas für den Freihandel zu tun.
Vor dem Gipfel sind die internationalen Themen geprägt von Staaten wie den USA, Russland oder der Türkei. Müsste die G-20-Agenda nicht viel stärker von asiatischen Staaten wie China, Indien, Südkorea, Indonesien oder Vietnam bestimmt werden?
Die etablierten Volkswirtschaften müssten sich wesentlich stärker mit den Schwellenländern beschäftigen. Umgekehrt sollten solche Staaten auch international mehr Verantwortung und Pflichten übernehmen. Das Themenspektrum bei den G-20-Konferenzen ist in den vergangenen Jahren über Wirtschafts- und Finanzthemen hinaus sehr gewachsen. Die Teilnehmer müssen aufpassen, solch eine Konferenz nicht zu überfrachten. G20 ist die beste Plattform, um zentrale Themen der Weltwirtschaft zu besprechen und auch konkrete Beschlüsse vorzubereiten. Und wo ist in den kommenden Jahrzehnten das größte Potenzial für Wirtschaftswachstum? Im asiatisch-pazifischen Raum, in der Region, für die auch unser Verein steht.
Fürchten Sie die Ausbreitung eines neuen Protektionismus?
Die Abschottung nationaler Märkte halte ich für falsch. Ich bin seit mehr als 30 Jahren als Unternehmer und Manager weltweit unterwegs und sehe zum Beispiel in großen Volkswirtschaften wie China oder Indien: Wer sich öffnet, kommt voran und entwickelt sich. Diese Länder hatten früher keine wettbewerbsfähige Wirtschaft und entsprechend wenige konkurrenzfähige Produkte oder Dienstleistungen. Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zum Positiven geändert. […]
Wird China jetzt anstelle der USA zum Vorkämpfer für Freihandel?
Das Bekenntnis des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping auf dem Weltwirtschaftsforum im Januar in Davos zum Freihandel begrüßen wir als OAV jedenfalls ausdrücklich. Allerdings ist die gegenseitige Öffnung für Investitionen zwischen China und Deutschland noch nicht fair genug. Chinesische Investoren können sich hier derzeit viel freier bewegen als deutsche Unternehmen am chinesischen Markt. Viele unserer Mitgliedsfirmen berichten uns allerdings auch über sehr gute Arbeits- und Investitionsbedingungen in China. Es hängt teilweise von den Branchen ab.
Nützt die Übernahme deutscher Unternehmen durch chinesische Investoren - wie im vergangenen Jahr die Übernahme des Roboterherstellers Kuka durch den chinesischen Elektrogerätehersteller Midea - auch der deutschen Wirtschaft oder bereitet das einer chinesischen Wirtschaftshegemonie den Boden?
Unternehmen aus Japan oder den USA investieren in Deutschland seit Jahrzehnten erheblich. Ich habe nicht den Eindruck, dass das die deutsche Wirtschaft geschwächt hat oder dass unsere Technologie ins Ausland abgewandert ist. So sehe ich das auch mit Blick auf chinesische Investoren. Entscheidend ist, dass die Märkte gegenseitig für Investitionen geöffnet sind. Übernahmen durch chinesische Investoren werden mitunter kontrovers diskutiert, weil es in jüngerer Zeit mehr prominente Fälle gibt. Aber nach Übernahmen wie etwa des Betonpumpenherstellers Putzmeister habe ich bislang nichts Negatives aus diesen Unternehmen gehört.
Wird sich die chinesische Wirtschaft in den kommenden Jahren weiter für ausländische Investoren öffnen?
Darauf vertraue und hoffe ich. Chinas Wirtschaft ist auf dem richtigen Weg - so muss es weitergehen, auch durch intensiven politischen Austausch. Das registrieren wir auch innerhalb unseres Verbandes bei den Mitgliedern. Zudem hat Deutschland exzellente politische und wirtschaftliche Verbindungen nach China. Die gilt es, weiterhin zu nutzen.
Chinas Wirtschaftspolitik fokussiert sich derzeit stärker auf die Entwicklung des Binnenmarktes, weg von dem Konzept, mit der Herstellung billiger Massenware "die Werkbank der Welt" zu sein. Was bedeutet diese Politik für Deutschland und Europa?
Chinas stärkere Hinwendung zum Binnenmarkt ist ja auch durch die Schwäche der Weltwirtschaft in den vergangenen Jahren begründet. Die chinesischen Unternehmen mussten andere Absatzmärkte finden, auch im Land selbst. Dazu darf man nicht vergessen: China ist nicht Shanghai. Flächendeckend ist das Land bei Weitem nicht so entwickelt wie die Industriezentren an der Ostküste. In vielen chinesischen Regionen gibt es noch großen Nachhol- und Entwicklungsbedarf. Das gilt auch für die Geschäftsperspektiven deutscher Unternehmen in China. Auch Jungheinrich wird immer wieder angesprochen, ob wir nicht noch in anderen chinesischen Regionen als bislang investieren wollen. Letztlich will China auch von mehr im Land selbst entwickelter Technologie profitieren. Für uns in Europa birgt das Chancen und Risiken. Beides gehört in einer globalisierten Welt dazu.
Wenn die USA sich stärker abschotten würden, wie es Präsident Trump oft androht, würde das automatisch zu einem intensiveren Handel zwischen Europa und Asien führen?
Völlig unabhängig von Trumps Politik muss und wird sich die deutsche Wirtschaft die Region Asien-Pazifik weiter intensiv erschließen. Die Möglichkeiten, die wir sehen, sind sowohl für kleine als auch für große Unternehmen erheblich. Der Technologiehunger ist in asiatischen Metropolen zum Teil größer als in europäischen. Asiens Bevölkerungen wachsen sehr stark, das birgt enormes Potenzial auch für die Entwicklung der dortigen Volkswirtschaften. Jungheinrich etwa fertigt in wachsendem Umfang Produkte für den chinesischen Markt in China selbst - und wir exportieren dennoch weiterhin von Europa aus unsere Güter nach China.
Welche sind die nächsten asiatischen "Tigerstaaten"?
Vietnam entwickelt sich sehr spannend. Indien und China nehmen allein wegen ihrer großen Bevölkerung und immensen Größe eine Sonderrolle ein. Indonesien birgt ebenfalls viel Potenzial. Thailand könnte sich auch nach den jüngsten politischen Friktionen in absehbarer Zeit gut weiterentwickeln. Insbesondere der südostasiatische Wirtschaftsraum ASEAN birgt mittelfristig sicher viele Chancen, vielleicht ähnliche Perspektiven wie die EU. Hier sehen wir viele positive Impulse aus der Region.
International wird stark über eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Globalisierung diskutiert. Ihr Unternehmen Jungheinrich boomt aber und scheint mit diesem Thema kein Problem zu haben. Woran liegt das?
Wir wachsen in der Tat international sehr stark, allerdings liegt der Gesamtanteil unseres Geschäftes außerhalb Europas bei 13 Prozent. Als ich vor zehn Jahren bei Jungheinrich anfing, waren es fünf Prozent. Da ist weiterhin noch Spielraum. Wir wachsen vor allem in Asien-Pazifik und in den USA, aber nicht nur. Wir expandieren weltweit, zum Beispiel kürzlich auch in Chile. Asien-Pazifik hat aber perspektivisch auch für uns eine überragende Bedeutung. Allein auf China entfallen 25 Prozent des Weltmarktes für Stapler.
<small>Ein Interview von Olaf Preuß, Die Welt
Stand: 18.05.2017</small>