Willkommen im Hochlohnland

Facharbeitermangel und unzureichendes Berufsbildungssystem in China: Neue Chancen für die deutsche Wirtschaft.

Häufig kreiert Erfolg neue Probleme. Besonders anschaulich wird dies am derzeitigen Stand der chinesischen Volkswirtschaft. Nicht nur Europäer, sondern auch die chinesischen Konsumenten müssen sich daran gewöhnen, dass ihre Kleidung immer häufiger aus Vietnam oder Bangladesch und nicht mehr aus China stammt. In der Vergangenheit wurde die europäische Textilproduktion aufgrund des Lohnkostenvorteils größtenteils nach China verlagert.

Trotz der Mehrkosten durch die Errichtung eigener Produktionsstätten vor Ort war die Herstellung von Textilien in China weiterhin ein lukratives Geschäft für europä-
ische Investoren. Heute ist die chinesische Fertigungsindustrie jedoch nicht mehr preiswert genug für den globalen Wettbewerb. Die Konzerne bevorzugen zuneh-
mend andere Standorte. Outsourcing ist nun die Regel.

Noch nie waren die chinesischen Arbeitskräfte so gebildet wie heute, weshalb andere Karriereträume vorherrschen. Dies könnten ideale Voraussetzungen für die quali-
tative Weiterentwicklung der chinesischen Wirtschaft sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch ein wachsender Facharbeitermangel, der sich zunehmend als Wachstumshemmnis erweist. Die chinesische Berufsausbildung wird den Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes nicht gerecht.

Weiterhin wird in den Schulen sowie in den Bachelorstudiengängen strikt auswendig gelernt. Das einzige Ziel ist es, die nächste Prüfung zu bestehen. Auf eine prakti-
sche Anwendung des Gelernten wird weniger Wert gelegt. Nur in wenigen elitären Institutionen kann man den Beginn eines Wandels ausmachen. Das nichtakade-
mische berufliche Ausbildungswesen ist qualitativ unzureichend. Die an Hochschulen stattfindenden dreijährigen Studiengänge sind zwar auf den späteren Beruf aus-
gerichtet, weisen jedoch so gut wie keinen Praxisbezug auf.

Hinsichtlich der Lehrqualität kann es kaum ein College mit dem Niveau einer deutschen Berufsschule aufnehmen. Selbiges trifft auf die Bachelorstudiengänge zu. Auch hier wird in den wenigsten Fällen das Niveau einer deutschen Fach-
ausbildung erreicht. Die in deutschen Medien häufig genannte Zahl von zwei Millionen Ingenieuren, die in China jährlich ausgebildet werden, ist daher irre-
führend.

Die Hochschulabsolventen erfüllen nicht die Anforderungen der Industrie im internationalen Wettbewerb. Qualifizierte Fachkräfte jedoch, die sich ihr Können durch jahrelange Berufserfahrung und nicht durch eine akademische Ausbildung angeeignet haben, können mittlerweile höhere Einkommen erzielen als reine Akademiker. In manchen Bereichen nähern sich ihre Löhne dem europäischen Niveau an. Die Diskrepanz zwischen der Ausbildungsqualität und den Anforder-
ungen der Wirtschaft ist in China durchaus bekannt. Pädagogik und Bildungsver-
ständnis sind jedoch eine Generationsfrage.

Pädagogik und Bildungsverständnis sind eine Generationsfrage

Auch die häufig in diesem Zusammenhang erwähnte Geringschätzung technischer, nichtakademischer Berufe in konfuzianischen Gesellschaften spielt dabei eine Rolle. Man kann davon ausgehen, dass die Probleme noch einige Jahrzehnte fortbestehen werden. Wie stark das chinesische Wirtschaftswachstum dadurch ausgebremst wird, hängt in erster Linie davon ab, wie die chinesischen Unternehmen dieser Herausforderung entgegentreten werden.

Die Möglichkeiten, den Facharbeitermangel für die eigenen Unternehmensaktivitäten zu umgehen, bestehen zum einen in der Auslagerung der Produktion an Standor-
te mit mehr Facharbeitern und zum anderen in der Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Aufgrund ihrer Bedeutung für China wäre es wünschenswert, dass die Bestim-
mungen für den Erhalt einer unbefristeten Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung erleichtert werden.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die chinesische Wirtschaft eine ausreichende Zahl industrieller Facharbeiter aus dem Ausland anwerben kann. Die benötigten Fachkräfte sind in erster Linie in entwickelten Industrieländern anzutreffen. Gut ausgebildete Fachkräfte finden in aller Regel unproblematisch gut bezahlte Arbeitsplätze in ihrer Heimat, womit ein finanzielles Motiv zur Arbeitsplatzsuche an anderen Standorten entfällt. Entscheidend für eine Migration ist die Attraktivität des neuen Arbeits-
standorts für die Fachkräfte.

Chinesische Firmen entwickeln immer mehr Hightech-Produkte, die internationalen Standards gerecht werden. Gleichzeitig haben sie jedoch Schwierigkeiten, diese in der entsprechenden Qualität im eigenen Land zu produzieren. Damit trifft sie ein ähnliches Schicksal wie internationale Unternehmen, die in China Hightech-Produkte fertigen lassen möchten. Hightech-Produkte lassen sich bislang nur begrenzt in China herstellen. Entsprechend können chinesische Unternehmen ihre Produkte in technologisch besser ausgestatteten Ländern produzieren lassen.

Damit reduziert sich ihr Kostenvorteil gegenüber ausländischen Mitbewerbern lediglich auf die niedrigeren Forschungs-und Entwicklungskosten in China. Der Standort Deutschland würde in diesem Szenario profitieren, da die Konkurrenz aus China keinen starken Preisdruck verursachen würde – insbesondere wenn sich der Trend der Lohnsteigerung für Facharbeiter weiter fortsetzt. Ein vielversprechender Weg, den Fachkräftemangel zu bekämpfen, besteht in der Verbesserung der beruflichen Aus-
bildung. Dieser Bereich stellt sich als ein völlig neues Geschäftsfeld dar.

Wettbewerbsvorteil durch eigene Ausbildung

Chinesische Banken vergeben Ausbildungskredite, wobei die statistisch wahrscheinlichen Erfolgschancen auf dem Arbeitsmarkt als Sicherheit dienen. Deutsche Institutionen der Berufsausbildung haben die Möglichkeit, in China auf gewinnorientierter Basis berufliche Ausbildungsgänge anzubieten, so wie es die Handwerks-
kammer Bamberg beispielsweise seit Jahren erfolgreich betreibt. Ein deutscher Gesellenbrief bedeutet in China eine Jobgarantie zu überdurchschnittlich hohen Löhnen.

Der Markt für diese Art von Ausbildungsdienstleistung ist nahezu unbegrenzt, erfordert aber eine genaue Kenntnis des deutschen und des chinesischen Bildungs-
systems und der rechtlichen Rahmenbedingungen. Aus diesem Grund ist die Implementierung solcher Programme ohne die Mitarbeit von China-Spezialisten nur schwer darstellbar.

Für deutsche Firmen bietet diese Situation eine große Chance. Sie leiden zwar selbst unter dem Facharbeitermangel, könnten sich aber durch ihre Erfahrung im be-
trieblichen Ausbildungswesen einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie genau in dieses Feld investieren. Die Fähigkeit, benötigte Fachkräfte eigenständig auszubilden und zu halten, stellt einen wichtigen Marktvorteil dar.

 

 

 

 

 

 

Martin Guan Djien Chan

Martin Guan Djien Chan war circa ein Jahrzehnt in China, der Mongolei und Bangladesch, unter anderem als Weltbankberater, Dozent und Analyst für internationale Beziehungen und Sicherheitsfragen tätig.