Bücherschau: Mit Nordkoreas Bombe leben?
Wenn von Asiens blühender Zukunft die Rede ist, geraten die Sicherheitsrisiken auf dem Kontinent meist in den Hintergrund. Die größte Gefahr geht dabei eindeutig von Nordkoreas Atomprogramm aus. Ein Rezept zur Lösung hat auch der koreaerfahrene ZEIT-Journalist Matthias Naß nicht anzubieten – aber es gelingt ihm, die Details des hierzulande lange ignorierten Konfliktes klar und anschaulich darzulegen. Von Daniel Müller, OAV
Das letzte Jahr hat eine drastische Zuspitzung des Streits zwischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten erfahren. Für viele Medien waren die hitzigen Wortgefechte zwischen Kim Jong-un und Donald Trump eine bequeme Steilvorlage. Denn mit ihnen ließen sich die komplexen Hintergründe der Großkrise auf charakterliche Defizite der Hauptakteure reduzieren. Allerdings weist der Autor gleich zu Beginn darauf hin, dass die aktuelle Konfrontation einen langen Vorlauf hat. Man sollte die derzeit handelnden Personen also nicht überbewerten. Schon in den 1950er Jahren wurden unter Kim II Sung erste, zunächst zivile atomare Anstrengungen unternommen, aus denen sukzessive der Wunsch nach einer Atomstreitmacht reifte.
Gleichwohl wurde zuletzt mit der Entwicklung atomar bestückbarer Interkontinentalraketen, die US-Territorium erreichen können, für Washington eine rote Linie überschritten. Naß arbeitet die Brisanz der neuen Lage pointiert heraus und versucht, die einzelnen Konfliktfäden zu entwirren. Er schildert die Motive des Kim-Clans, der schon früh glaubte, nur als Nuklearmacht überleben zu können, wobei die Regime- Change-Kriege von Bush jr. diese Haltung zementiert haben. Er legt schlüssig die Position Chinas dar, das an einem nuklearen Nordkorea auch kein Interesse hat, aber weder dessen Kollaps noch US-Truppen an seiner Grenze sehen will. Südkorea wäre am stärksten von einer Eskalation betroffen und steht US-Alleingängen kritisch gegenüber. Gleichzeitig ist es auf den Schutz der USA angewiesen und lässt Spezialeinheiten „Enthauptungsschläge“ proben. Besonderes Augenmerk widmet Naß indes der Sicht der USA als dem Hauptakteur neben Nordkorea. Dabei setzt er nicht auf Insiderinformationen, sondern gibt neben vielen technischen Details vor allem einen Überblick über die einschlägigen Studien US-amerikanischer Think Tanks und lässt erfahrene Strategie-Experten zu Wort kommen. Dabei wird deutlich, dass die Dilemmata, denen sich US-Regierungen seit über 25 Jahren ausgesetzt sehen, dieselben geblieben sind. Von einem Präventivschlag hat man Abstand genommen, da ein solcher auch für den Süden verheerend wäre. Auch Gesprächsangebote werden als problematisch angesehen, weil Nordkorea bislang alle Absprachen gebrochen hat. Für die weitere Entwicklung könnte der Befund des Autors zentral sein, dass das Regime trotz aller Kaltblütigkeit rational handelt.
Bislang erklärt die Trump-Administration die Gefährdung des eigenen Territoriums für untolerierbar und behält sich eine Militär-Option offen. Derweil wachsen in den USA die Zweifel, ob ein Ende von Nordkoreas nuklearem Waffenprogramm noch erreichbar ist. Falls es nicht zu Kurzschlussreaktionen kommt, wird letztlich wohl nur der Rückgriff auf eine klassische Abschreckungspolitik bleiben. Angesichts der zu befürchtenden desaströsen Folgen bleibt zu hoffen, dass die von Naß zitierte Einschätzung, dass beiden Seiten den Preis eines Krieges scheuen, zutrifft.