Perspektiven und Profiteure des Handelskrieges

Auch wenn es zuletzt wieder eine Annäherung gab: Der Handelsstreit zwischen den USA und China hat ein Ausmaß an Misstrauen erzeugt, dass es selbst bei einem größeren „Deal“ nicht zur Rückkehr zum Vorzustand kommen wird. Die globalen Handelsbeziehungen bewegen sich generell in Richtung eines verschärften Ringens um nationale Vorteile. Welche Szenarien in Asien-Pazifik sind plausibel – und gibt es Profiteure dieses Trends?


Viel wurde zur Einordnung des Handelskonflikts auf das Weltbild des US-Präsidenten verwiesen. Nüchtern betrachtet handelt es sich bei Trumps „America First“-Doktrin um einen defensiven Ansatz. Dieser lässt sich aus dem stabilen Doppeldefizit von Haushalt und Leistungsbilanz (2018: minus 488,5 Mrd. USD) und einer zutreffend abgeleiteten Überlastung als globaler Ordnungsmacht erklären. Hier besteht ein objektives Problem infolge einer partiell gesunkenen Wettbewerbsfähigkeit. Trump versucht, speziell das Handelsdefizit mit allen Mitteln zu verringern und hat mit den vielen heimischen Verbrauchern als „Consumer of last resort“ einen durchaus langen Hebel. Hinzu kommt eine selbst für ein großes Land niedrige Exportquote bei Waren und Dienstleistungen (Weltbank: 12,1 % des BIP in 2017), die Gegenmaßnahmen anderer Staaten weniger effektiv macht. Gleichwohl werden Rettungsaktionen für alte Industrien kaum bei der wirtschaftlichen Revitalisierung helfen. Das Vorgehen, selbst alte Alliierte zu verprellen, ist derweil klar kontraproduktiv. Schlüssige Alternativen sind jedoch auch nicht recht erkennbar. Da bei den US-Fehlbeträgen keine prinzipielle Änderung in Sicht ist, dürfte auch der Handelsstreit mit China – der Hauptquelle des Defizits – nicht im Konsens gelöst, sondern wohl nur temporär abgeschwächt werden können. Zu ergänzen wäre, dass Indien als weitere potenzielle Wirtschaftsgroßmacht in Asien die Aufholjagd und den Verdrängungswettbewerb noch gar nicht richtig gestartet hat.

Variable Konfliktformen
Es wurde oft betont, dass die USA trotz ihres Leistungsbilanzdefizits durch die Nachfrage nach US-Dollar- Wertpapieren einen großen Wohlfahrtsgewinn in Form von Importen, die damit vom Ausland finanziert werden, genießen. Diese Perspektive übersieht zum einen aber den Beschäftigungsaspekt – Bürger wollen nicht nur günstige Importwaren, sondern auch Jobs. Wichtiger noch: Die USA und China befinden sich – zumindest in Asien-Pazifik – im Vorfeld eines echten Hegemonialkonflikts. Kern der US-Position ist daher die weitgehend überparteilich geteilte Sorge um die künftige nationale Sicherheit. Diese Sorge ist seit jeher das Hauptmotiv aller „Wirtschaftskriege“. Zu bedenken ist, dass China – anders als Japan, dem ökonomischen Rivalen der 1980er-Jahre – auch über eine potente Militärstärke verfügt. Nicht nur aus US-Sicht ist China eine Macht, die den Status quo herausfordert. Hieraus folgt auch das erbitterte Ringen beider Länder um die technologische Führung, die sich stets auch sicherheitspolitisch auswirkt. Eine solche Konstellation muss indes nicht zwingend zu starrer Abschottung führen. Zumal die USA und China weiter gemeinsame Interessen teilen. Es sind vielmehr diverse und variable Konfliktformen denkbar. Der Verweis auf global verzweigte Lieferketten, innenpolitische Interessengruppen und anstehende Wahlkämpfe wird weiter mäßigend wirken. Der Grundmodus bleibt jedoch auf Zuspitzung gestellt. Unter dem Strich steht, dass man zur Erreichung politischer Ziele im Zweifel auch wirtschaftliche Einbußen in Kauf nimmt. Eine Variante künftiger Positionskämpfe dürfte der Aufbau strategisch ausgerichteter Produktionsketten sowie die gezielte Setzung von relevanten Normen und Industriestandards sein. Hierbei sind neue Allianzbildungen der USA nach Trump nicht ausgeschlossen.
         
Schatten der Geschichte      
Insgesamt scheint es, dass der sino- amerikanische Handelsdisput Teil eines weltweiten Trends ist. Wie stark auch eine belastete Geschichte Handelsbeziehungen lädieren kann, zeigt die jüngste Konfrontation zwischen Südkorea und Japan, bei der es um den finalen Umfang der Reparationen infolge der rabiaten japanischen Besatzung von 1910 bis 1945 geht. Es wurde sogar jeweils eine Begrenzung der Sicherheitskooperation angedroht. Diese Beziehungen sind nicht die einzigen mit historischen Altlasten in der Region. Auch eine japanisch- chinesische Aussöhnung hat bislang nicht stattgefunden. Obwohl es zwischen Tokio und Peking derzeit eine Phase der Annäherung gibt, kann diese schnell wieder umschlagen. Auch hier werden realwirtschaftliche Zwänge die Emotionen zügeln helfen – größere Störungen bleiben aber jederzeit möglich. Bei den vielen positiven Prognosen zum weiteren Aufstieg Asiens werden die verschiedenen offenen und latenten politischen Konflikte auf dem Kontinent meist ausgespart. Wenig bedacht wird auch die stabilisierende Rolle, welche die USA dort bisher gespielt haben. Des Weiteren bestehen in Asien selbst erhebliche Handelsspannungen. So hat der Vorwurf an China, angesichts eines Minus von 54 Mrd. US-Dollar beim bilateralen Handel „one-sided Trade Policies“ zu verfolgen, zu Indiens Ausstieg aus der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) geführt. Dies alles spricht eher nicht für den Beginn einer ungetrübten Ära des Freihandels in Asien-Pazifik.

Wer kann profitieren?          
Für Unternehmen bleibt in diesem strukturell unsicheren Umfeld im Prinzip nur die Möglichkeit, ihre Aktivitäten zur Risikostreuung weiter zu diversifizieren und sich bestmöglich vor negativen Entwicklungen zu wappnen. Dies dürfte vermehrt auf eine zumindest partielle Neuausrichtung von Produktions- und Lieferketten hinauslaufen. Die Folge werden eine geringere Effizienz und höhere Konsumentenpreise sein – aber ein Ende der geopolitischen Umbrüche ist auch mittelfristig nicht zu erwarten. Zur Umgehung von allfälligen Strafzöllen dürften sich Importeure in China und den USA verstärkt Lieferanten in Drittmärkten suchen. Produzenten sehen sich hingegen nach alternativen Fertigungsstandorten um. Hierin liegt eine Chance für Schwellenländer mit passablen Rahmenbedingungen, ihre Entwicklung mit dem Anziehen neuer Investitionen weiter zu befördern. Die Existenz von Präferenzhandelsabkommen mit den globalen Hauptabnehmerländern dürfte bei Abwägungen für einen neuen Standort ein wichtiges Kriterium sein. Was die primär verlagerungswilligen Branchen anbelangt, wird es sich um solche handeln, die im besonderen Maße von Strafzöllen gefährdet sind. Neben Ländern wie Mexiko liegen diese mutmaßlichen Profiteure der Handelsfriktionen vorwiegend in Asien, genauer: in Süd- und speziell in Südostasien. An erster Stelle steht dabei in der aktuellen Debatte Vietnam, dem seine geografische Nähe zu China, eine agile Regierung, viele Handelsverträge sowie eine wachsende Industriebasis zugutekommen. Die Vertreter einzelner Sektoren dürften speziell auf Länder blicken, die jeweils schon anerkannte Stärken aufweisen: Thailand in der Automobilindustrie, Malaysia im IKT-Segment und bei der Elektrotechnik oder Bangladesch im Textilbereich. Im Blickfeld stehen generell auch Indien und Indonesien, die beide neben einer hohen Bevölkerungszahl auch einen günstigen demografischen Trend aufweisen. Allerdings sind hier wirksame Reformen nötig, um Geldgeber zu überzeugen, dass die unstrittigen Potenziale irgendwann realisiert werden. Die indische Regierung hat jüngst mit einer deutlichen Reduktion der Unternehmenssteuern hierzu einen ersten wichtigen Schritt getan. Die Investoren dürften nur auf weitere überzeugende Signale warten.

Limits der Verlagerung         
Bei all diesen Überlegungen ist jedoch zu berücksichtigen: Eine Relokation von Produktionen in andere Länder ist kein simpler Vorgang. Die populäre Formel „China Plus One“ etwa suggeriert eine Einfachheit, die faktisch nicht existiert. Auch am Beispiel Vietnam zeigen sich die Hürden etwaiger Produktionsverlagerungen. Denn China hat sich seit der Öffnung in den 1980er-Jahren zu Recht das Label „Werkbank der Welt“ erworben und besitzt neben hohen Industriekapazitäten auch sehr leistungsstarke Zulieferindustrien. Hiermit kann Vietnam auch in absehbarer Zeit kaum aufwarten. So sind etwa komplexe elektronische Komponenten für spezialisierte Lieferketten nur selten verfügbar. Ähnliches gilt für Thailand, das als Verlagerungsziel für Teile der Wertschöpfungskette des Automobilsektors aus China heraus gilt. Hier sind die disponiblen Fertigungskapazitäten ebenfalls begrenzt und müssten erst zeit- und kostenintensiv aufgebaut werden. In China verbleiben dürften Fabriken, deren Güter für den lokalen Markt bestimmt sind. Die genannten Länder schlagen sich ferner unisono mit dem Problem eines steigenden Fachkräftemangels herum. Alles in allem werden sich die Unternehmen auf eine deutlich steigende Komplexität bei der Planung und Ausgestaltung ihrer Produktions- und Liefernetzwerke einstellen müssen.


Daniel Müller

Daniel Müller ist Regionalmanager ASEAN beim OAV; mueller@oav.de