Das „Neue Malaysia“: Der Regimewechsel und die Reformbemühungen der Regierung Mahathir
Die 14. nationalen Wahlen vom 9. Mai 2018 haben die politische Landschaft Malaysias grundlegend umgestaltet. Nach 61 Jahren verlor die regierende Koalition erstmals ihre Mehrheit. Die aus 13 Parteien bestehende Nationale Front oder Barisan Nasional unterlag einem Bündnis, das ausgerechnet von dem ehemaligen und neuen Premierminister, dem mittlerweile 93-jährigen Mahathir Mohamad, angeführt wird. Die neue Regierung muss nun umfangreiche Reformen einleiten, hat aber mit einer schwierigen Haushaltslage zu kämpfen.
Die Gründe für den Wahlerfolg
Mahathir war von 1981 bis 2003 nicht nur Premierminister, sondern zugleich Präsident der United Malays National Organisation (UMNO), die seit der Unabhängigkeit immer die eindeutig dominierende Partei innerhalb der Regierungskoalition gewesen war. Mahathir galt als Autokrat, der gegen Kritiker hart vorging und während der asiatischen Wirtschaftskrise Ende der 1990er-Jahre sogar seinen damaligen Stellvertreter und designierten Nachfolger, Anwar Ibrahim, als der sich gegen ihn wandte, nicht von politischer Verfolgung ausnahm. Anwar wurde nach einem Schauprozess zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Damals entstand eine breite, auch von Teilen der Zivilgesellschaft unterstützte Reformasi- Bewegung. Die Opposition konnte sich in den Jahren seit 1998 stabilisieren und erstaunliche Zugewinne bei den Wahlen 1999, 2008 und 2013 erzielen. Aber selbst Optimisten erwarteten 2018 keine Niederlage der Nationalen Front. Viele Vertreter der Reformasi-Bewegung bestimmen gegenwärtig die Geschicke des Landes.
Neben langfristigen sozialstrukturellen Veränderungen und der zunehmenden Bedeutung neuer Medien dürften drei Faktoren für den unerwarteten Ausgang der Wahlen besonders wichtig gewesen sein. Erstens wurde UMNO 2016 gespalten, weil Mahathir sich gegen den Premierminister und UMNO-Präsident Najib Razak wandte, eine eigene Partei gründete und sich der Oppositionskoalition, der Hoffnungsallianz (Pakatan Harapan), anschloss. Mahathirs Seitenwechsel dürfte bei vielen Wählern die Zuversicht gestärkt haben, dass im Falle eines Wahlsieges die neue Regierung wirtschaftspolitisch verlässlich sein würde und dass die starke, rechtlich abgesicherte Stellung der Malaien unangetastet bleiben würde. Zweitens spaltete sich die islamistische PAS, wandte sich vom damaligen Oppositionsbündnis ab und näherte sich UMNO, ohne allerdings eine Kooperation mit ihr einzugehen. Die PAS-Abspaltung, die von moderaten Muslimen gegründete Parti Amanah Negara (National Trust Party), schloss sich gleichzeitig der Pakatan Harapan an. Das Ausscheren der PAS bedeutete besonders für die Angehörigen religiöser Minderheiten, dass eine Stärkung des Islamismus bei einem Regierungswechsel unwahrscheinlich sein würde. Drittens hatten Premierminister Najib und seine gesamte Partei wegen eines spektakulären Korruptionsskandals um den Staatsfonds 1MDB sowie weiterer Affären ihren Rückhalt in der Bevölkerung verloren.
Enge Handlungsspielräume aufgrund von Finanzproblemen
Das neue, kurz nach den Wahlen zusammengestellte Kabinett genießt hohes Ansehen, weil ein großer Teil der Minister/-innen als kompetent und sachorientiert angesehen wird. Das gilt insbesondere auch für die wirtschaftspolitisch relevanten Ressorts, also für Finanzminister Lim Guan Eng von der Democratic Action Party (DAP) und Wirtschaftsminister Azmin Ali (PKR). Die neue Regierung hat aber inzwischen einsehen müssen, dass ihre umfangreiche Reformagenda nicht so schnell umsetzbar ist. So wurde die in Aussicht gestellte deutliche Erhöhung des Mindestlohnes schnell ad acta gelegt. Die Ankündigung einer sehr moderaten Anhebung auf lediglich 1.050 MYR pro Monat führte dann auch zu kleineren Demonstrationen durch Gewerkschaften.
Lim Guan Eng entdeckte unterdessen eine Reihe weiterer verdeckter Schulden. Die Staatsschulden wurden deshalb im Juni 2018 mit 1,065 Billionen MYR angegeben, das waren 350 Mrd. MYR mehr als von der Vorgängerregierung veranschlagt, da ein Teil der Verbindlichkeiten – etwa bei öffentlich-privaten Partnerschaften – verschleiert worden war. Die neue Regierung will das Defizit in den nächsten Jahren bis auf 2,8 % im Jahr 2021 schrittweise senken. Ein noch zu verabschiedendes Gesetz (Fiscal Responsibility Act) soll zudem eine gewisse Haushaltsdisziplin vorschreiben. Die jetzigen Finanzprobleme sind aber noch dadurch verstärkt worden, dass, wie im Wahlprogramm versprochen, die ungeliebte, relativ junge Mehrwertsteuer (Goods and Services Tax, GST) im Umfang von 6 % abgeschafft wurde, sodass jetzt wieder in vielen Bereichen die im Durchschnitt niedrigere Sales and Services Tax (SST) gültig ist.
Wirtschaftliche Aussichten
Bei der im Oktober vorgestellten Halbzeitbilanz zum 11. Malaysia-Plan machte die Pakatan Harapan deutlich, dass sie die Rechenschaftspflichten der öffentlichen Verwaltung stärken und beispielsweise die Vergabe öffentlicher Aufträge transparenter gestalten will. Die Regierung rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von 4,5–5,5 % in den Jahren 2018–2020, das ist etwas weniger als in den Jahren zuvor (5–6 %). 2020 soll das Pro-Kopf-Einkommen auf 11.700 USD steigen, allerdings wird voraussichtlich erst 2024 das Ziel erreicht, zu den Ländern mit hohen Durchschnittseinkommen aufzuschließen.
Entwicklungsausgaben sollen auf 220 Mrd. MYR für die Jahre 2016 bis 2020 gesenkt werden. Öffentliche Investitionen werden um 0,8 % jährlich sinken, u. a mittels der Aussetzung des Baus einer knapp 700 km langen Bahnverbindung von der Ostküste der malaiischen Halbinsel bis nach Port Klang im Westen (East Coast Rail Link) und einer Schnellzugstrecke (High Speed Rail) von Singapur nach Kuala Lumpur. Diese Projekte sind Teil der chinesischen „Belt and Road“-Initiative. Mahathir liegt zwar grundsätzlich viel an ausländischen Investitionen, gerade auch chinesischen, aber es soll zunächst geprüft werden, ob die Infrastrukturprojekte notwendig und finanziell sinnvoll sind.
Die Regierung hat angekündigt, nicht nur den 1MDB-Fall zu untersuchen, sondern auch das Missmanagement bzw. die Korruption bei der teilprivatisierten FELDA (Federal Land Development Authority), bei der Behörde zur wirtschaftlichen Förderung von Bumiputera MARA (People’s Trust Council) und beim Lembaga Tabung Haji, einer Art Sparkasse für Pilger. Kritiker fordern außerdem eine Umstrukturierung der Government-linked Companies (GLCs) und Government- linked Investment Companies (GLICs), die von der ehemaligen Regierung als Pfründe bei der Verteilung begehrter Posten im Vorstand oder Aufsichtsrat genutzt worden waren. Mahathir hat diese Unternehmen schon als „Monster“ bezeichnet, die kaum kontrolliert worden sind. Gleichzeitig müssen Wahl- und Parteienfinanzierungsgesetze grundlegend überarbeitet, das Parlament gestärkt und repressive Sicherheitsgesetze abgeschafft oder zumindest umgeschrieben werden.
Die Ablösung Mahathirs durch Anwar Ibrahim
Die ehemaligen Regierungsparteien wie UMNO, die Malaysian Chinese Association (MCA) oder der Malaysian Indian Congress (MIC) sind jetzt hochgradig verunsichert. Fundamentale Reformen in diesen Parteien sind kaum möglich, da das Personal sich nicht so schnell erneuern kann. Allerdings ist bereits deutlich absehbar, dass die Barisan Nasional, die nun nur noch aus diesen drei Mitgliedern besteht, mit den alten Rezepten die nächsten Wahlen wohl nicht gewinnen kann. Die gegenwärtig immer sichtbarer werdenden Korruptionsskandale der Vergangenheit werden außerdem die Koalition lange belasten. Nicht nur Najib und seine Frau, sondern mehrere UMNO-Politiker, unter ihnen der jetzige UMNO-Präsident Zahid Hamidi, müssen damit rechnen, verurteilt zu werden.
Premierminister Mahathir hat in den letzten Wochen einige seiner Lieblingsprojekte wieder ins Spiel gebracht. Dazu gehören eine weitere Brücke nach Singapur und die eigenständige Produktion eines nationalen Autos. Da er aber von vornherein nur als Interimspremier angetreten war, könnte er schon nächstes Jahr durch Anwar Ibrahim ersetzt werden. Anwar hat Mitte Oktober Nachwahlen im Wahlkreis Port Dickson gewonnen und ist nun wieder Parlamentarier. Mit ihm als neuem Premier hätte die Reformasi-Bewegung dann endgültig die Macht übernommen.