Indien: ESGE und sequa fördern nachhaltige Textilproduktion
Nachhaltig und fair – bei gleichbleibender Qualität und gewohnten Preisen: Immer mehr Konsumenten stellen hohe Ansprüche an Handelsware und setzen damit internationale Produzenten zunehmend unter Druck. Die Textilbranche bekommt dies verstärkt zu spüren. Am Beispiel seiner indischen Tochterfirma zeigt Wäschehersteller ESGE, wie Unternehmen mit Unterstützung durch das develoPPP.de-Programm diese Herausforderung meistern können.
Deutsche Textilunternehmen, die in Indien produzieren, haben eines gemeinsam: Um ihre anspruchsvollen Kunden zu Hause zufrieden zu stellen, brauchen sie erstklassige Ware. Doch gut ausgebildete Fachkräfte mit Textil- Know-how sind in Indien kaum zu finden. Staatliche Ausbildungsgänge sind veraltet und haben wenig Praxisbezug. Auch die Unternehmen selbst bilden selten aus und setzen vorwiegend angelerntes Personal ein. Das ist auch deshalb kritisch, weil die Kunden immer stärker darauf drängen, dass bei der Herstellung internationale Standards eingehalten werden – etwa zur Produktund Arbeitssicherheit.
Um den Anschluss an die internationale Textilindustrie nicht zu verlieren und dem starken Konkurrenzdruck vor allem chinesischer Anbieter standzuhalten, muss die indische Textilindustrie verstärkt in die Ausbildung und Qualifizierung ihrer Beschäftigten investieren. Die schwäbische Textilfirma ESGE, ein Familienunternehmen mit langer Tradition, produziert hochwertige Unterwäsche für Damen, Herren und Kinder. Seit 2007 ist sie auch in Indien tätig. Ihr Tochterunternehmen „Bodyland“ im südindischen Tirupur, einem Zentrum der Wirk- und Strickwarenindustrie, beschäftigt derzeit etwa 400 Mitarbeiter, davon fast zwei Drittel Frauen. Um den steten Bedarf an qualifiziertem Personal zu decken, ist ESGE 2008 eine Entwicklungspartnerschaft mit der sequa GmbH eingegangen. Finanziert wurde diese Partnerschaft durch das Programm develoPPP.de des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Kooperation mit indischem Textilcollege
ESGE investiert in Indien in ein flexibles Ausbildungs-, Trainings- und Qualifizierungsangebot für alle seine Beschäftigten: Für die Näherinnen gibt es praxisnahe Trainings, etwa zum Umgang mit diversen Nähmaschinentypen oder neuen Stoffen, sowie Schulungen zu Arbeitslogistik und -sicherheit, zu Qualitätskontrolle und zur Wartung der Maschinen. Um den eigenen Führungskräftenachwuchs zu rekrutieren und zugleich das allgemeine Ausbildungsniveau im indischen Textilsektor anzuheben, kooperiert ESGE mit dem Textilcollege NIFT-TEA.
Dieses ist auf dem Weg, das Kompetenzzentrum der indischen Textilindustrie zu werden – nicht zuletzt dank des deutschen Engagements. Im Rahmen der Kooperation bringt auch das Unternehmen seine Expertise in die Lehre mit ein: ESGE-Fachkräfte halten Vorlesungen und schulen das Lehrpersonal in bestimmten Abläufen und Software- Programmen. Darüber hinaus lädt das Unternehmen Studierende zu Praktika in seine indischen Produktionsstätten ein. Mit Erfolg: Von den ehemaligen Praktikanten ist inzwischen ein Großteil bei ESGE angestellt. Für Christian Maag, einen der drei Geschäftsführer von ESGE, ist dies eine „klassische Win- Win-Situation“.
2011 haben ESGE und sequa eine zweite Entwicklungspartnerschaft aufgelegt. Diesmal liegt der Fokus auf einem Qualifizierungsprogramm mit Schwerpunkt Logistik und Materialwirtschaft für fünf kleine und mittelständische Zuliefererbetriebe des schwäbischen Textilunternehmens. Die dafür nötige spezielle Software stellt das Unternehmen allen Beteiligten kostenlos zur Verfügung. Darüber hinaus schult ESGE Dozenten und Auszubildende und etabliert die Integration von Betriebspraktika an die Lehre. Roland Strohmeyer, Projektmanager bei sequa, ist von so viel Engagement beeindruckt: „Die Verantwortlichen bei ESGE verstehen sich als soziale Unternehmer alter Schule. Sie denken vorausschauend und handeln verantwortungsbewusst für die Zukunft der gesamten Branche und ihrer Mitarbeiter.“
Höhere Produktivität, sozialere Betriebskultur
Zwischen 2008 und 2015 ist nicht nur die Effizienz der Zuliefererbetriebe gestiegen. Ergebnis der Qualitätskontrolle ist auch, dass ESGE in Indien fast nur noch „erste Wahl“ produziert. Beeindruckt zeigte sich der indische Vizepräsident des NIFT-TEA-Colleges, Prof. K. J. Sivagnanam, von der Software für ein effizientes Berichtswesen, das ESGE in den fünf kleineren Pilotbetrieben eingeführt hatte. Allein durch Schulungen, optimierte Abläufe und Umstrukturierung konnten einige der beteiligten Zulieferfirmen ihre Produktion von täglich 800 Stück auf 3.500 Stück steigern – ganz ohne Neuanschaffung von Maschinen.
„ESGE hat damit ein Best- Practice-Beispiel für andere Unternehmen geliefert“, so Prof. Sivagnanam, „das dort mit unserer Hilfe umgesetzt wird. Das ist ja auch unsere Hauptaufgabe: Best Practice zu verbreiten, für qualifizierte Arbeitskräfte zu sorgen und das Wachstum in Tirupur zu fördern.“ Beide Entwicklungspartnerschaften waren jedoch nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgreich. „Ich bin manchmal selbst erstaunt, wie sozial und fortschrittlich die Betriebskultur in unserer indischen Produktionsstätte geworden ist und wie schnell unser Verständnis von Führung und Gleichberechtigung übergegangen ist in den Betrieb“, sagt Maag.
„Besonders freut mich das im Hinblick auf die weiblichen Beschäftigten, die es bei Bodyland zu Abteilungsleiterinnen gebracht haben. Diese Frauen haben sich nie vorstellen können, so etwas zu erreichen. Und darauf sind sie – und wir – zu Recht sehr stolz.“
„Durch die Kooperation mit Universitäten und Textilcolleges haben wir gut ausgebildete Praktikanten im Unternehmen. Die Chance, aus diesem Pool gute Mitarbeiter zu gewinnen, ist bedeutend größer, als wenn wir völlig neue Leute suchen müssten.“ - Christian Maag, Geschäftsführer von ESGE
Das develoPPP.de-Programm
Mit develoPPP.de stellt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Unternehmen, die in Entwicklungs- und Schwellenländern investieren, finanzielle und auf Wunsch auch fachliche Unterstützung zur Verfügung. Das Unternehmen trägt dabei mindestens die Hälfte der Gesamtkosten, zu denen das BMZ bis zu 200.000 Euro beisteuert. Diese sogenannten Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft können bis zu drei Jahre dauern und in den unterschiedlichsten Branchen und Themen angesiedelt sein.
Im Rahmen von develoPPP.de kooperieren Unternehmen stets mit einem der drei öffentlichen Partner, die das Programm im Auftrag des BMZ umsetzen: DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und sequa gGmbH. Viermal im Jahr können Unternehmen eine Interessensbekundung in sogenannten Ideenwettbewerben bei DEG, GIZ oder sequa einreichen. Mitmachen können alle deutschen und europäischen Unternehmen sowie ihre Tochterfirmen in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft, die das Potenzial haben, einen herausragenden entwicklungspolitischen Nutzen zu erzielen und mehrere Länder zu umfassen, können als Strategische Entwicklungspartnerschaften außerhalb der Ideenwettbewerbe umfangreicher gefördert werden.