Künstliche Intelligenz im Personalwesen: Fluch oder Segen?

Daran, dass Künstliche Intelligenz (KI) die Personalarbeit der Zukunft stark verändern wird, besteht kein Zweifel. Dennoch herrschen in vielen deutschen Personalabteilungen Vorbehalte über den Einsatz. Undurchschaubare Ergebnisse einer von KI unterstützten Entscheidung schüren Ängste, der Mensch könnte von der „neuen“ Technik ausgebootet und kontrolliert werden. Dem kann entgegengehalten werden: KI ist keine Wundertüte, sondern das Ergebnis eines gezielten Einsatzes von Algorithmen und Daten.


„Der Computer diskriminiert nicht“, heißt es im asiatischen und amerikanischen Raum, wo KI bereits eine wichtige Rolle bei der Personalauswahl spielt. Immer häufiger werden hier Bewerber über vordefinierte Algorithmen vorausgewählt. Der Interviewpartner des Bewerbers wird zunehmend der Computer. Die KI-gestützte Auswahlsoftware analysiert hierbei den Kandidaten nach Stimme, Reaktion und gegebenen Antworten. Nicht berücksichtigt wird hingegen welches Geschlecht oder welche Hautfarbe der Befragte hat. Während in den USA und in China eine solch vorurteilsfreie Personalauswahl mithilfe von Software positiv betrachtet wird, ist die Debatte über die automatische Auswertung von Jobinterviews in Deutschland von starken Vorbehalten geprägt.

Deutsche Firmen hinken hinterher

Insgesamt gilt: Geht es um den Einsatz von KI im Personalbereich, sind deutsche Unternehmen sehr viel zögerlicher als die Konkurrenz in Asien und Amerika. Da KI in diesem Bereich jedoch von großem Nutzen ist, kann dies zu einem Nachteil im globalen Wettbewerb für deutsche Unternehmen werden. Die immense Rechenleistung ermöglicht den Unternehmen heute eine Auswertung riesiger Datenmengen und damit eine sehr viel genauere Nachfolge sowie Talentplanung, die zu einem effizienteren Recruiting verhelfen. Dies funktioniert mit einer Kombination verschiedener IBMs „Deep Blue“ das Duell gegen den amtierenden Schachweltmeister Kasparov gewann, war der Mythos Computer schlägt Mensch geboren. Dabei nutzte „Deep Blue“ lediglich eine hohe Rechenleistung, um alle erdenklichen Züge vorab zu analysieren – eine Leistung, die ein Mensch in dieser Geschwindigkeit und Dichte nicht erreichen kann. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine „Imitation“ von Kreativität und Abwägung menschlicher Denkprozesse. Da die Software damit nicht im eigentlichen Sinne intelligent ist, wird auch von „schwacher KI“ gesprochen.

Der Ansatz maschinellen Lernens ist durchaus ausreichend, um KI in den Personalabteilungen immer mehr in Erscheinung treten zu lassen. Hierbei werden Algorithmen auf Basis von Erfahrungen (= Daten) „trainiert“, Ergebnisse zu erarbeiten. Auf diese Weise erhalten HR-Experten zuverlässigere Ergebnisse und verschaffen sich gleichzeitig mehr Zeit für schöpferische Aufgaben. Zudem verbessert sich der Service für die Mitarbeiter des Unternehmens erheblich. So können sie dank neuer Technologien zum Beispiel sämtliche HR-Anliegen über eine Plattform automatisiert erledigen.

Fragen der Ethik und des Datenschutzes klären

Entsprechend sind die nächsten Schritte zum Einsatz von KI im Personalwesen in erster Linie nicht mit Entscheidungen über das Ob verbunden, sondern über das Wie. Ethische Fragen und Datenschutzanliegen müssen geklärt werden. Daraus folgen weitere Fragen: Was passiert mit den Daten? Wo werden sie gespeichert? Wo sind die Grenzen, wenn es um die Auswertung persönlicher Nutzungsdaten geht? Klar ist, dass KI-Systeme nur so gut sind wie die Experten, die sie programmieren. Wird hier nicht sorgfältig gearbeitet, trifft – um beim Beispiel Personalauswahl zu bleiben – auch der Computer Entscheidungen, die etwa von Geschlechterstereotypen beeinflusst sind.

Austausch zwischen HR, Betriebsrat und IT

Um den Vorbehalten der Mitarbeiter gegenüber KI zu begegnen, sollte über den Einsatz der neuen Technologien von Beginn an Transparenz im Unternehmen herrschen. Ein permanenter Austausch zwischen HR, Betriebsrat und IT ist empfehlenswert. Effektiv unterstützen kann KI das Personalwesen in folgenden Bereichen:

1. Active Sourcing und Matching
Einige Unternehmen arbeiten bereits mit Bots, die auf der Basis der Daten aus Bewerbungsunterlagen, Web-Interaktionen und Social-Media-Aktivitaten die Eignung der Kandidaten für den ausgeschriebenen Job prüfen. Dabei gleichen die digitalen Recruiting-Assistenten die Erwartungen und Fähigkeiten der Kandidaten nicht nur mit einer Stelle, sondern mit den verschiedenen offenen Positionen in einer Firma ab. An den Bewegungsprofilen im Social Web kann die KI auch erkennen, ob ein interessanter Kandidat geneigt ist, seinen Job zu wechseln.

2. Auswahlgespräche
Bei Jobinterviews kann die Vorauswahl durch eine Software zumindest bei Massen sinnvoll sein. Das zeigt etwa der erfolgreiche Einsatz der Software HireVue bei großen Unternehmen wie JP Morgan und Unilever. Um die Bewerber nicht nur vorurteilsfrei, sondern auch auf die richtigen Kompetenzen und Fähigkeiten prüfen zu können, gilt es sehr genau zu untersuchen, was besonders erfolgreiche Mitarbeiter im Unternehmen auszeichnet.

3. Onboarding
Auch in Deutschland gibt es bereits einige Firmen, bei denen die Mitarbeiter beim Onboarding von einem virtuellen Assistenten unterstützt werden. Dieser kann die wichtigsten Fragen rund um den Neuanfang in der Firma – vom Anmelden im Computersystem, über Einführungskurse bis zu den Sportangeboten des Unternehmens – beantworten. Fragen, auf die er keine Antwort weiß, leitet er an einen menschlichen Mitarbeiter weiter. Aus dessen Antwort wiederum lernt er und kann dieselbe Frage beim nächsten Mal selbst beantworten.

4. Learning Management
In der schnelllebigen Wirtschaftswelt ist es wichtig, dass sich die Mitarbeiter jederzeit und an jedem Ort das benötigte Wissen aneignen können. Digitale Weiterbildung in kleinen Einheiten ist ein absolutes Muss. Auch hier kann KI-gestützte Lernsoftware individuell auf den Nutzer abgestimmte Lernmodule vorschlagen.

5. Workforce Planning
Aus der Kombination von Daten zur Bevölkerungsentwicklung, Hochschulabschlüssen ebenso wie den Geschäftsstrategien eines Unternehmens und Prognosen zur Marktentwicklung lässt sich ermitteln, an welchen Stellen im Unternehmen voraussichtlich bald Personal benötigt wird und welche Kompetenzen die entsprechenden Mitarbeiter mitbringen müssen. Das Unternehmen kann sich rechtzeitig um gezielte Upskilling-Initiativen, Neueinstellungen oder Recruiting-Kampagnen kümmern.

6. Kundenzufriedenheit
Ein weiteres wichtiges Ziel von intelligenten HR-Systemen ist es, eine zentrale Oberfläche für alle Anliegen eines Mitarbeiters zu schaffen – vom Onboarding über Weiterbildungsmaßnahmen bis hin zur Planung von Geschäftsreisen und der Beantragung von Elternzeit (Stichwort: One Stop Shop). Der Mitarbeiter will es bequem haben, sich mit niemandem auseinandersetzen müssen und seine Anliegen von überall aus mit dem Smartphone erledigen können.

Unser Fazit lautet daher, dass europäische – vor allem aber deutsche – Unternehmen besser aktiv darüber nachdenken sollten, wo und wie sie KI unterstützend einsetzen.

Um eine praxisnahe und handlungsorientierte Diskussionsplattform für offene Fragen und Meinungen zu schaffen, beleuchtet die diesjährige Talent-Pool-Asia-Konferenz im zweiten Halbjahr 2020 das Thema „Intelligent Automation revolutionizing HR“. Die Kernfrage ist, wie Künstliche Intelligenz bei asiatischen und deutschen Unternehmen im Personalwesen bereits eingesetzt wird.


Kerstin Hauptmannl

Kerstin Hauptmannl ist Associate Partner People Advisory Services bei Ernst & Young.