Die neuen Incoterms® 2020
Zum 1.1.2020 sind die neuen Incoterms® 2020 in Kraft getreten. Ihre hohe praktische Bedeutung zeigt sich in der Anwendung in über 90 % von Warenkäufen, sowohl im internationalen als auch im nationalen Warenverkehr. Die folgende Übersichtstabelle zeigt die neuen Incoterms® 2020 in der Bezeichnung und Reihenfolge, nach der die Verpflichtungen des Käufers von oben (EXW) nach unten abnehmen und die des Verkäufers proportional zunehmen (DDP).
Die bisherige Struktur ist beibehalten worden, wie auch die bekannten Gruppeneinteilungen in elf Klauseln. Bei allen Klauseln sind jeweils die zehn Pflichten des Verkäufers (A1-A10) und des Käufers (B1-B10) zusammengestellt:
• A1/B1: Allgemeine Pflichten
• A2/B2: Lieferung, Übernahme der Ware (Liefer-/Übernahmeort und -stelle, Lieferhandlung, Beladung und Entladung. Nicht: Lieferzeit)
• A3/B3: Gefahrübergang
• A4/B4: Transport
• A5/B5: Versicherung
• A6/B6: Liefer-/Transportdokumente
• A7/B7: Ausfuhr-, Durchfuhr- und Einfuhrfreimachung
• A8/B8: Prüfung, Verpackung und Kennzeichnung
• A9/B9: Kostenverteilung
• A10/B10: Benachrichtigungen
Die wesentlichen inhaltlichen Änderungen sind:
1. Fes tlegung des Lief er da tums bei Lieferfristen durch den Käufer (F-Klauseln)
Bei Geltung einer der F-Klauseln und Vereinbarung einer Lieferfrist kann der Käufer die Lieferzeit bestimmen.
2. Der Verkäufer ist bei A4 der F-Klauseln verantwortlich für den Transport
Die Incoterms® 2020 stellen nunmehr klar, dass – außer beim Schiffstransport (Klauseln FAS und FOB) – der Käufer nicht immer ein Beförderungsunternehmen beauftragen muss, sondern z.B. auch selbst befördern darf.
3. Zuordnung von Sicherheitsfreigaben
Die Incoterms® 2010 sahen in A2/ B2 vor, dass die Sicherheitsfreigaben von der Partei zu erfüllen waren, die für die zollrechtliche Abwicklung verantwortlich sei. Dies ist jedoch nicht möglich in Fällen, in denen die Sicherheitsfreigaben den Frachtführer allgemein betreffen, nicht jedoch die Export- oder Import-Freimachung. Die neuen Incoterms® 2020 unterscheiden nun in A4/B4 zwischen den beförderungsrelevanten Sicherheitsanforderungen und den Sicherheitsüberprüfungen nach Zollrecht.
4. Versicherung
Die Klauseln A5/B5 sind inhaltlich generell unverändert, allerdings wurde die Risikoabdeckung modifiziert. Sogenannte „gebrochene“ Versicherungen, bei denen der Verkäufer nur für seine Transportstrecke versichert, während der Käufer den Weitertransport nach Warenübernahme versichert, sind grundsätzlich zu vermeiden.
5. FOB/FCA und Container, B/L bei FCA
Nach A6 hat der Verkäufer bei Geltung einer F-Klausel den üblichen Liefernachweis zu besorgen. Der Verkäufer hat bei Geltung der Klausel FOB keine Möglichkeit, das Risiko zwischen der Ablieferung am Terminal und der tatsächlichen Verladung auf das Schiff zu beeinflussen. Die ergänzend geregelt wurde im Vergleich zu den früheren Incoterms® 2010. Lösungsmöglichkeiten sind bei Klausel FCA A4 die Kostenübernahme der Beförderungskosten durch den Verkäufer und/oder für die Inanspruchnahme des Akkreditivs anstelle einer B/L ein Übernahmekonnossement (Received for Shipment Bill of Lading) ausreicht.
6. Verpackung und Kennzeichnung
Die Klauseln A8/B8 beziehen sich ausschliesslich auf Pflichten des Verkäufers. Die in A8 geregelten Prüfungspflichten des Käufers sind von Untersuchungsobliegenheiten nach Kaufrecht (Art. 38 CISG und § 377 HG) strikt zu unterscheiden.
7. Kostenverteilung
Die Kosten sind in A9/B9 jetzt umfassend geregelt und nach hinten verschoben worden. Die Kostenverteilung ist ausschließlich die Folge der nach A2/B2 zu treffenden Vereinbarungen.
Gültigkeit der alten und neuen Incoterms®
Die neuen Incoterms® 2020 können ab sofort für alle Verträge angewendet werden, auch solche, die vor dem 1.1.2020 geschlossen werden. Altverträge sollten im Licht der globalen, wirtschaftspolitischen Veränderungen, wie zum Beispiel BREXIT, Handelsembargo der USA, aber auch von Gesetzesänderungen wie zum Beispiel dem neuen deutschen Kaufrecht überprüft werden. Das Gültigkeitsdatum der neuen Incoterms® zum 1.1.2020 stellt aber keine Verpflichtung zur Verwendung dar. Vielmehr steht es den Vertragsparteien frei, sie sofort zu verwenden, auch nachträglich auf ältere Verträge, oder auch die früheren Incoterms® für zukünftige Verträge anzuwenden. Die neuen Bestimmungen, insbesondere die Erläuterungen in den Incoterms® 2020, sind jedoch ein guter Grund, sie zu verwenden und die Gelegenheit zu nutzen, ältere Kaufverträge zu überprüfen. Der Kaufvertrag muss nur eindeutig bezeichnen, welche der Incoterms® zur Anwendung kommen sollen. Wenn ein Kaufvertrag, der nach dem 1.1.2020 geschlossen wird, lediglich die Formulierung „es gelten die Incoterms®“ beinhaltet, dann gelten im Zweifel die aktuell gültigen Klauseln, also die Incoterms® 2020. Aktuelle Anlässe zur Überprüfung geschlossener Verträge sind nicht nur der Brexit und rechtliche Änderungen der Bestimmungen des Warenverkehrs, wie zum Beispiel neue Wareneinfuhr- oder Ausfuhrbestimmungen nach dem US-Handelsembargo oder die aktuellen Sicherheits- oder Zollbestimmungen. Sehr häufig werden in Kaufverträgen auch die falschen Incoterms® verwendet, wie z.B. EXW oder DDP im internationalen Warenverkehr.
Eine ausführliche Beschreibung enthält die von der ICC herausgegebene Broschüre zu den Incoterms® 2020: ICC-Publikation 723 DE (ISBN 978-3-929621-73-0), hrsg. von ICC Germany e.V., Berlin, mit Einführung und Erläuterungen von Debattista; vgl. auch den Artikel von RA Prof. Dr. Burghard Piltz, IHR 5/2019, S. 177 ff.
➞ Zu den Autoren:
Thomas Sasse ist Rechtsanwalt und Partner bei CORPLEGAL und ein ausgewiesener Experte im Internationalen Wirtschaftsrecht. Zu seinen Schwerpunkten gehören internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Schiedsverfahren, M&A und Finanzierungen.
E-Mail: Thomas.Sasse@corplegal.global