Digitalisierung: Ein Praxisbericht zu den Chancen für deutsche Medizintechnikunternehmen in China
Bei der Einführung der digitalen Gesundheitsakte kann der chinesische Markt eine Vorreiterrolle einnehmen. Denn in China steht man dieser Entwicklung weitaus offener gegenüber als in westlichen Kulturen.
WEINMANN Emergency GmbH + Co. KG ist Hersteller von mobilen Medizintechniksystemlösungen aus den Hauptgruppen Beatmung, Defibrillation und Absaugung für Notfall-, Transport- und Katastrophenmedizin. Welche Trends prägen derzeit die Innovationen in der Notfallmedizin und in Ihrem Produktportfolio?
Da die Technologien von WEINMANN Emergency überwiegend im Rettungsdienst und der mobilen Gesundheitsversorgung zur Anwendung kommen, ist für uns vor allem eine stetige Verbesserung der Notfallversorgung von zentralem Interesse. Derzeit arbeiten wir daran, eine Vernetzung von medizinischen Geräten und Technologien über W-LAN und Bluetooth oder einer direkten Datenübertragung aus den Rettungswagen in die Krankenhäuser zu ermöglichen. Durch diesen Datenaustausch können Vital-Parameter und Bilder von Verletzungen direkt an die erstbehandelnden Krankenhäuser transferiert werden. Die frühzeitige Kommunikation ermöglicht es, den Patienten eine bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen und Krankheitsbilder schneller zu beurteilen. Weiterhin stellt die Möglichkeit, die Kapazitäten von Krankenhäusern und deren Notfallaufnahmen vor Einlieferung neuer Patienten abzurufen, eine wichtige Innovation dar. Vor allem in China sind die Krankenhäuser oft überfüllt, dies beeinträchtigt die Notfallversorgung. In Großstädten wie Shanghai sucht die Regierung aus diesem Grund nach solch neuen Technologien, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Wir sind bereits an einigen Pilotprojekten beteiligt.
Das bedeutet, die Digitalisierung von Gesundheitsdaten stellt einen wesentlichen Antrieb zur Innovation im Bereich der medizinischen Notfallversorgung dar?
Die Chancen bei einer zunehmenden Digitalisierung sind vielfältig. Hersteller, Endanwender und Patienten können alle davon profitieren. Wir sehen unter anderem in der Etablierung einer digitalen Gesundheitsakte eine Chance, die Gesundheitsversorgung für die Patienten zu verbessern. Im Notfall kann der behandelnde Arzt sofort die Krankheitsvorgeschichte des Patienten einsehen und bei der Behandlung berücksichtigen. Bei der Einführung der digitalen Gesundheitsakte kann der chinesische Markt eine Vorreiterrolle einnehmen. Denn in China steht man dieser Entwicklung o.ener gegenüber als in westlichen Kulturen, zudem bestehen geringere Hürden bei den datenschutzrechtlichen Voraussetzungen. Neben einer Verbesserung der medizinischen Versorgung, bietet die Digitalisierung aber auch die Möglichkeit, die Serviceleistungen und Wartungsarbeiten der medizinischen Geräte zu vereinfachen. Derzeit werden aktuelle Softwareupdates direkt vor Ort installiert. Ziel ist es, diese von einem Zentralserver aus über das Internet zu steuern. Dabei stoßen wir auf dem chinesischen Markt jedoch auf das Problem, dass hier ein separates System aufgebaut werden muss, da wir aufgrund der aktuellen Rechtslage die Daten zwischen unseren Unternehmenssitzen in Deutschland und China nicht transferieren können. Dies stellt uns als mittelständisches Unternehmen natürlich vor eine Herausforderung.
Der chinesische Markt hat einen Anteil von 7 Prozent am Gesamtumsatz Ihrer Unternehmensgruppe. Ökonomen und China-Experten warnen derzeit vor der sich abkühlenden Wirtschaft in China. Wie ist Ihre Prognose für die Entwicklung des chinesischen Medizintechnikmarktes für die nächsten Jahre?
Das Wachstumspotenzial in der Medizintechnik ist in China nach wie vor hoch. Die chinesische Regierung hat einige Initiativen im Gesundheitssektor geplant, in welche viel Geld investiert werden wird. Ein Beispiel dafür ist die Einführung einer staatlichen Krankenversicherung. Zudem ist ein Ausbau des Krankenhaussektors, vor allem in ländlichen Gebieten, geplant. Auch die Smart-City-Konzepte setzen auf neue medizinische Technologien und bieten damit weiteres Absatzpotenzial. Da unsere Produkte hochgradig spezialisiert sind, halten sie hohen Anforderungen stand. Außerdem bewegen wir uns in einer Nischensparte der Medizintechnologie. Dies bietet uns bislang einen erheblichen Vorteil. Doch deutsche Unternehmen müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie sich langfristig auf dem chinesischen Markt halten können. Derzeit haben wir einen Standort mit 11 Mitarbeitern in Shanghai und bieten von dort aus sowohl Serviceleistungen als auch den direkten Vertrieb an die Endkunden an. Dies macht in etwa 40 Prozent unseres Chinageschäftes aus. Die anderen 60 Prozent setzen sich aus dem Vertriebsgeschäft aus Deutschland zusammen. Das Direktgeschäft in China steigt und der Standort könnte sich in Zukunft selbst finanzieren. Eine Verlagerung unserer Produktion oder unserer Forschungs -und Entwicklungstätigkeiten nach China ist für uns allerdings nicht denkbar. Denn damit ginge eine Offenlegung sämtlicher Details unserer Produktions- und Testprozesse einher, wenn wir die gleichen Qualitätsstandards, die wir an unseren westlichen Standorten anbieten, halten möchten. Die damit verbundene Gefahr der Reproduktion unserer Produkte durch chinesische Konkurrenten halten wir für zu groß, um diesen Schritt zu gehen.
„Das Wachstumspotenzial in der Medizintechnik ist in China nach wie vor hoch. Die chinesische Regierung hat einige Initiativen im Gesundheitssektor geplant, in welche viel Geld investiert werden wird.“
Stellt die technologische Aufholjagd Chinas für WEINMANN Emergency eine Herausforderung dar?
Ja, wir geraten durch das industrielle Modernisierungsprogramm „Made in China 2025“ zunehmend unter Druck. Die chinesische Regierung hat sich mit dieser Strategie das Ziel gesetzt, die hohe Importabhängigkeit im High-Technologie-Bereich zu reduzieren und bis 2030 etwa 95 Prozent der Medizintechnologie lokal zu produzieren. So schätzen wir die Chancen für ausländische Unternehmen, bei öffentlichen Ausschreibungen zu gewinnen, zukünftig als gering ein. Auch wenn der Umsetzungserfolg der „Made in China 2025“-Strategie derzeit noch nicht absehbar ist, ist dennoch klar, dass deutsche Unternehmen langfristig im Wettbewerb auf dem chinesischen Markt mit staatlich geförderten Unternehmen konfrontiert werden. Dies wird eine der größten Herausforderungen für unser Unternehmen in China darstellen.
Bestehen davon abgesehen Hürden, die Ihr China-Geschäft beeinflussen?
Die Registrierung von neuen Medizinprodukten kostet uns ca. 50.000 Euro und dauert drei bis vier Jahre. Zum Vergleich: Dies kostet für ein lokales Unternehmen maximal die Hälfte und der Prozess ist in ein bis zwei Jahren abgeschlossen. Vor allem diese verkürzte Zeitspanne macht die Kooperation mit lokalen Partnern in China besonders attraktiv. Wir setzen aus diesem Grund vor allem auf die Zusammenarbeit mit gut vernetzten lokalen Partnern vor Ort. Da jedoch bei der Produktregistrierung alle Schaltpläne und jedes einzelne Detail über die Produkte offengelegt werden müssen, läuft man Gefahr, dass die eigenen Produkte nachgebaut werden. Wir haben diese Erfahrung bereits mit zwei Produkten unseres Sortiments gemacht. Diese werden inzwischen von einem staatlich geförderten chinesischen Anbieter in China vertrieben. Sie sind zwar funktional nicht auf dem gleichen Niveau wie unsere Originale, dennoch auf dem chinesischen Markt zu einem günstigeren Preis erhältlich. Das konnten selbst Anwälte nicht verhindern – wir benötigen einen besseren Schutz des geistigen Eigentums. Darüber hinaus stellt die neue „Two-invoice-policy“ eine gewisse Hürde dar. Sie zielt darauf ab, Zwischenhändler künftig zu reduzieren und vermehrt auf den direkten Vertrieb zu setzen. Krankenhäuser beispielsweise sollen ihre Kosten nur noch erstattet bekommen, sofern zwischen Hersteller und Endabnehmer nicht mehr als zwei Rechnungen ausgestellt wurden. Dies bedeutet, dass zukünftig maximal ein Zwischenhändler beteiligt sein darf, was uns vor Herausforderungen stellen wird.