„Mutige Reformen nach indischen Wahlen“
Auf die Eröffnungsrede von Premierminister Modi in Davos und sein Plädoyer für den Freihandel folgte im Rahmen der Vorstellung des neuen Haushaltsplans wenige Wochen später die Einführung von Strafzöllen auf bestimmte Produkte. Wie bewerten Sie diese Handlung und ist mit einer Schubumkehr in der indischen Liberalisierungspolitik zu rechnen?
Thomas Hundt: Die Rede von Modi in Davos wurde falsch interpretiert. Er plädierte nicht für den Freihandel, sondern stellte nur fest, dass der Protektionismus empordringt und neuartige Handelsbarrieren entstehen. Er sagte, dass man sich nicht isolieren und eine kluge, flexible Politik umsetzen solle. Er hielt sich also Optionen offen. Acht Tage später kündigte sein Finanzminister Arun Jaitley zahlreiche Zollerhöhungen an, um die heimische Industrie gegen Importe aus Asien, hauptsächlich aus China, zu schützen. Jaitley gab zu, dass die Maßnahmen als populär bezeichnet werden können. Schließlich ist es der letzte Haushalt vor den Wahlen 2019. Ich gehe davon aus, dass Indien nach den Wahlen den Schubhebel wieder auf mutige Reformen und Liberalisierung umstellt.
Im Sommer 2017 wurde die von vielen lang erwartete Mehrwertsteuer (Goods and Services Tax) in Indien eingeführt, die das Land zu einem einheitlichen Binnenmarkt macht. Wie sind die ersten Monate nach dem holprigen Start zu bewerten und wie ist der aktuelle Stand?
Thomas Hundt: Wenn ich Unternehmer frage, ob sie das alte System aus 17 verschiedenen Steuern wieder haben möchten, sagen sie klar nein. Der Start war indes in der Tat konfus. Zum einen wurden die Bestimmungen für die Mehrwertsteuer erst kurz vor deren Einführung zum 1. Juli 2017 bekannt gegeben. Firmen und Ämter hatten kaum Zeit für die Umstellung. Zum anderen hat Indien eine im internationalen Vergleich sehr komplexe Steuer mit fünf verschiedenen Steuersätzen und vielen Ausnahmen eingeführt. Die Erstattung der Vorsteuer dauert derzeit sehr lange und bereitet Probleme. Alles deutet darauf hin, dass der Steuerrat die bahnbrechende Reform weiter verbessern wird. Die Weltbank sagt, dass die Goods and Services Tax erst der Anfang eines Prozesses sei und nicht sein Ende.
Im Frühjahr 2019 werden in Indien landesweite Parlamentswahlen stattfinden. Welche Szenarien halten Sie für möglich?
Thomas Hundt: Fachleute und Journalisten sind sich einig, Premierminister Modi und seine Partei BJP werden die kommende Wahl gewinnen. Die Prognose erscheint einfach, schließlich hat die BJP die letzten Landtagswahlen gewonnen. Die Konjunktur läuft, der Staat subventioniert viele Bereiche und investiert in die Infrastruktur, auch ausländische Investitionen fließen. Warum sollte sich der Wahltrend also umkehren? Allerdings ist die Stimmung unter Verbrauchern und Geschäftsleuten nicht so euphorisch wie die guten Konjunkturdaten erwarten lassen. Öffentliche Banken und viele Staatsfirmen sind in Schieflagen und ihre Rettung könnte sehr teuer werden. Kleine Firmen haben unter der Bargeldreform vom November 2016 gelitten und stöhnen noch über die neue Mehrwertsteuer. Wahlen werden aber auf dem Lande entschieden, wo zwei Drittel der Bevölkerung leben und arbeiten. Dort gibt es eigene Faktoren, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Zum Beispiel die Wasserversorgung oder Agrarpreise.